Protokoll der Zukunftswerkstatt
der Schülerakademie Jena 11.-13.12.92

 

 

1. Das Prinzip der Zukunftswerkstatt

Die Diskussion dreht sich wieder mal im Kreis. Ich habe die Argumente der anderen gehört und meine eigenen einigemale verteidigt. Später fallen mir wieder die besten Argumente ein...

Was "die da oben" wieder austüfteln, kann ich eh nicht beeinflussen, im Ernstfall haben die die Experten auf ihrer Seite...

Wer kennt nicht diese Situationen zur Genüge?

Man kann sich mit immer wieder besseren Argumenten in diese Situation stürzen. Und wieder heimgehen mit einem Drehwurm...

Aber man kann es auch einmal anders versuchen.

Das erste neue Prinzip ist dann: Jeder von einem Problem Betroffene ist auch fähig, bei der Lösung teilzunehmen, nicht nur die "Experten" oder "die da oben". In den Gesprächen über eine Lösung dürfen deshalb weder Experten noch Referenten dominieren (auch wenn sie das nicht bewußt wollen, verführen sie - am Katheder stehend- doch den Eindruck, daß man sich zurücklehnen kann und die Experten machen lassen...

 

 

Außerdem kommt es darauf an, erst mal tatsächlich alles aufzulisten, was uns stört. Auch wenn wir denken, daß diese Probleme nicht weiterhelfen können, daß wir sie lieber verdrängen (Kritikphase).

Aber das soll nicht die Köpfe hängen lassen.

In der nächsten Stufe werden alle Hinderungsgründe "vergessen" und die ideale Situation ausgemalt (Utopiephase).

In dieser Situation ist es möglich, auf Ideen zu kommen, die man sich sonst zu denken nicht gewagt hätte. Aber nur mit solchen Ideen sind viele verworrene Probleme überhaupt noch zu lösen.

Erst dann fragt man sich, wie man Schritt für Schritt diese Ideen in die Wirklichkeit umsetzen kann, welche Partner man dafür gewinnen könnte und was man selbst dazu tun kann (Verwirklichungsphase).
 

 

Da alle Teilnehmer in allen Phasen durch unorthodoxe Methoden ihre Meinungen kurz und bündig ohne Begründungszwang einbringen konnten und durch Mehrheitsentscheidungen an der Auswahl der Spannendsten Themen beteiligt sind, ist auch abgesichert, daß die Teilnehmer auch interessiert sind, ihr in der Werkstatt angedachtes Projekt auch tatsächlich dann später zu realisieren. Nichts ist aufgezwungen, sondern hat sich aus der Werkstatt heraus entwickelt. An das Meiste hätte man vorher selbst nie gedacht...


2. Zukunftswerkstatt mit der Schülerakademie

Freitag abend:

  1. Kennenlernen
  2. Film des BR über Karsten D.

Sonnabend morgen:

  • Vorstellen des Prinzips Zukunftswerkstatt
  • Eisbärenspiel

2.1. Phase: KRITIKPHASE

Zuerst schreibt jeder auf Zettel, was ihn gerade anstinkt oder worüber er Angst hat, legt ihn in die Mitte...

  • Ich hab Angst, so zu werden, wie meine Eltern und andere Erwachsene
  • unkompetente Regierung, hohe Diäten, aber handlungsunfähig.
  • kein Interesse an anderen; man hat sich nichts zu sagen.
  • allgemeine politische Situation --> geht nach rechts
  • Schulstreß, unnütze Dinge lernen müssen
  • Angst vor Überfällen auf der Straße
  • Selbstverleugnung, um zu überleben
  • Abstumpfung gegenüber anderem Leid
  • Wahrheitsgehalt der Informationen
  • ungerechte Verteilung der Gelder,
  • Hilflosigkeit (Machtlosigkeit)
  • Äußerer Druck , innere Unruhe
  • Was nach Abi? Was studieren?
  • weiß nicht wo ich hingehöre
  • keine Zeit für sich selbst
  • Egoismus und Machtkampf
  • Falsche Versprechungen
  • Familie oder Karriere?
  • Was will ich wirklich?
  • Ignoranz der Menschen
  • Arbeitsplatz sicher?
  • Zerstörung der Natur
  • Scheißfernsehen
  • Überlebenskampf
  • Bürokratie
  • Intoleranz
  • Mißtrauen

Die Teilnehmer teilen sich in drei Gruppen auf und jede Gruppe wählt 2 der Zettel aus, die ihnen gemeinsam am Wichtigsten sind.

Sie wählen insgesamt 6 Zettel aus.

Diese 6 Zettel werden nun zu zwei Themenkomplexen zusammengefaßt. Danach wird für jeden Komplex eine Überschrift in Kritikform formuliert.

1 bis 3 erhält die Überschrift:

"Ich habe Schwierigkeiten, mein zukünftiges Leben zu bestimmen."

4 bis 5 erhält den Titel:

"Das gesellschaftliche Umfeld ist inhuman."

Damit ist die Kritikphase abgeschlossen.

2.2. Phase: UTOPIEPHASE

Nun werden die beiden kritischen Sätze einfach positiv umformuliert, so daß der kritisierte Zustand einfach aufgehoben und die Situation ideal vorhanden gedacht wird.

Wir erhalten:

  1. " Ich habe keine Schwierigkeiten, mein zukünftiges Leben zu bestimmen."
  2. " Das gesellschaftliche Umfeld gestattet ein menschenwürdiges Zusammenleben."

An dieser Stelle wurde eine Pause eingeschoben.

Danach folgte eine Auflockerung mit dem Familien-Ming,King... Spiel und eine Auflockerung der Phantasie mit einem Stück Cellophan...

Danach sammelten sich folgende Ideen für Utopien auf langen Tapetenbahnen:

  • Platz für alle auf der Erde (humane Bevölkerungsentwicklung)
  • originelle, unkonventionelle Leute in Ämtern
  • keine Schadstoffe mehr (selbstauflösend)
  • jeder hilft jedem ohne Einschränkungen
  • Natur ist am Wichtigsten, wird bewahrt (8)
  • alle Zeit der Welt zum Suchen haben (1)
  • nur noch gute Filme im Fernseher
  • Fehler rückgängig machen können
  • keine Krankheiten/ Unfälle mehr
  • Leute für produktive Gespräche
  • richtig gute Freunde haben (4)
  • jeder macht sich Gedanken
  • Wohnung/ Arbeit für alle (5)
  • Arbeiten, was Spaß macht
  • jedem alles sagen können (2)
  • keine Naturkatastrophen
  • Regierung lebt mit Volk (6)
  • alle Menschen sind gut (3)
  • Ergebnis vorher wissen
  • Völker entscheiden mit
  • nur noch Wunschkinder
  • Intelligente Menschen (7)
  • wir sind selbst Natur
  • Schwerkraft aufheben
  • keiner glaubt BILD
  • keine Waffen mehr
  • keine Hürden mehr
  • kein Hunger mehr
  • alle Häuser bunt
  • Redemachmittage
  • Geld abschaffen
  • Zeitreisen
  • Spaß!


Nun schneidet jeder mit der Schere den Gedanken aus, der ihn am meisten fasziniert. Dies sind die Punkte 1 bis 8. Alle setzen sich mit ihrem Wunsch wieder in den Kreis.

Es finden sich zwei Gruppen, deren Wünsche jeweils zusammenpassen. Es finden sich die Punkte 1-4 und 5-8 zusammen.

Während die beiden Gruppen beginnen, sich einen Sketch zur Darstellung der idealen Situation, in der ihre Wünsche verwirklicht sind, auszudenken, wird das Mittagsessen vorbereitet.

Nach der Mittagspause (Reis mit Letscho) brauchte eine Gruppe noch etwas Zeit, aber bald konnten wir die Sketche vorstellen.Danach wird jeweils auf eine Tapetenbahn geschrieben, was allen als positiv und wünschenswert auffiel.

Da beide Gruppen nicht nur die utopische Situation darstellten, sondern auch die Realität satirisch streiften, mußte hier wieder etwas umgedacht werden.

Im ersten Sketch (siehe Wünsche 1 bis 4) wurde das Leben in einer Wohngemeinschaft mit Konfliktfall (eine Mitbewohnerin wird schwanger) dargestellt. In ihm fielen folgende Aspekte auf:

  • gemeinsam Aufgaben erledigen, Probleme lösen
  • versuchen Lösung fürs/ mit Kind zu suchen
  • jeder setzt sich für jeden ein (1)
  • jeder soll anderen tolerieren (2)
  • jeder mit gleichem Engagement
  • Zeit für sich selber nehmen

Der zweite Sketch (Wünsche 5 bis 8) stellte zwei Situationen vor, in denen Bürger/ Bürgerinitiativen bei der Regierung vorsprechen, um ihre Interessen zu vertreten.

In der idealen Situation gefiel:

  • Chance, gehört, Ernst genommen zu werden; Zeit zum Aussprechen
  • andere Formen der Zusammenarbeit (ökologischer Landbau)
  • Versuch, Probleme mit den Bürgern zu lösen
  • nicht herumgeredet, Klarheit, Konkretheit (1)
  • Ursachen/ Wurzeln der Probleme angehen
  • Verteidigungshaushalt drastisch kürzen
  • sinnvoller Arbeitseinsatz im Wald etc.
  • Freundlichkeit der Regierung
  • Altlastenentschuldung (1)
  • aktiver Umweltschutz (3)

Nun bekam jeder die Gelegenheit, mit einem Stift ein Kreuzschen hinter den Punkt zu machen, den er am Spannendsten findet. Es wurde die Anzahl Kreuze vergeben, die in Klammern dahinter stehen.

Nach einer kurzen Unterbrechung mit der Darstellung eines Küchengerätes durch kleine Gruppen ging es in die


2.3. Phase: REALISIERUNGSPHASE

Wir sammelten nun Ideen zu den einzelnen angekreuzten Wünschen, die darauf abzielen, herauszufinden, wie man sich ihnen nähern kann.

Zum Punkt 1: "Aktiver Umweltschutz" wurde aufgelistet:

  • Müll trennen- alle mitmachen, Selbstüberwindung
  • exakte Kennzeichnung der Giftstoffe, verständlich,
  • freiwilliges ökologisches Jahr (aber Vorsicht!)
  • öffentliche Verkehrsmittel benutzen (1)
  • Umweltsünder melden, selbst überwachen
  • vernünftiges Entsorgen, Recycling - Ideen für Entsorgung
  • ungefährliche Sachen im Haushalt - keine Blechdosen
  • Müllsammlung von Schülern - bewußtes Einkaufen
  • Müllvermeidung - Fahrrad fahren

Zu Punkt 2: "Altlastenentschuldung" fiel uns ein:

  • Haushaltsmittel anders verteilen (statt Militär für Mieten)
  • Schuldenerlaß für Entwicklungsländer

Zum 3. Punkt ("nicht herumreden, Klarheit") schrieben wir auf:

  • Politiker müssen sagen, was sie wirklich wollen
  • Mut, Problem offen darzustellen
  • Stiftung Warentest... aktiv nutzen
  • bei Wahlen Konsequenzen ziehen - verständliche Sprache (2)
  • Bürgerberatungsstellen - Wahrheitsprüfung (4)

Der 4. Punkt ("Jeder soll anderen tolerieren") brachte die Ideen:

  • sich selbst überprüfen, wie man anderen gegenübertritt (1)
  • auf die zugehen, die man eigentlich nicht leiden kann (3)
  • Vorurteile möglichst vermeiden/ zurückstellen
  • in jedem Menschen einen Menschen sehen (1)
  • Jedem Entscheidungsfreiheit zubilligen (1)
  • Vorurteilen von anderen entgegentreten
  • mit Schwächen des Andern leben
  • Ausreden lassen, zuhören (1)
  • Achten und geachtet werden

Zum 5. Punkt ("Jeder setzt sich für jeden ein") kam:

  • Hilfe für Schwäche
  • kein "Tuscheln" hinter dem Rücken anderer zulassen
  • Mängel/ Fehler nicht vertuschen, aussprechen (1)
  • Hilfe der Völker (Rumänien, Somalia usw.)
  • Freunden Hilfe anbieten, offen sein
  • Probleme von anderen mitlösen (1)
  • Selbsthilfegruppen
  • Angegriffene direkt unterstützen
  • Plakette "Ich greife ein"
  • Telefonketten/ Notruftelefon
  • Schutzräume für Angegriffene

Hier konnte jetzt jeder zwei Punkte vergeben und auf diese Weise kristallisierten sich die bedeutsamsten Punkte heraus. In zwei Gruppen wurde nun überlegt, wie man einer Verwirklichung näher kommen könnte.

Zuerst wurden in Tabellenform die Faktoren aufgelistet die für eine Verwirklichung sprechen und die, welche dagegen sprechen:

Projekt A): ("Auf die zugehen, die man eigentlich nicht leiden kann")

 

 
Dafür spricht:Dagegen spricht:
  • Chance
  • Erfahrungen
  • Beendigung des Gegeneinanders
  • Lösung einiger Probleme
  • Abbau der Vorurteile
  • Selbstfindung
  • Entlastung anderer Leute
  • zu wenig Zeit
  • kein Interesse
  • Schüchternheit
  • Haß ist nicht einseitig
  • Vorurteile
  • Gegener empindet es als Schwäche
 

 

Das Projekt B) wählte sich das Thema "Wahrheitsprüfung - Medienvergleich". Sie stellten gegenüber :

 

 

Dafür:Dagegen:
  • genügend Stoff
  • Zeitaufwand...
  • zuviel Stoff...
 

 

Damit ging dieser Tag erst einmal zu Ende, den Abend füllte das Spiel "Prost Müllzeit!", das Ergebnis eines Workshops, an denen drei der Teilnehmer beteiligt gewesen waren.


Am nächsten Tag wurde noch einmal wiederholt, was aus dieser Zukunftswerkstatt in den Alltag übernommen wird.

Das war zum einen das Vorhaben, im Privat- und politischen Leben künftig eher auf andere Menschen zuzugehen, in denen man nicht sofort Freunde vermutet. Ein direktes Gruppenprojekt erwuchs daraus nicht.

Zum anderen wurde initiiert, daß eine Schülergruppe bis ca. Juli 1993 einen Medienvergleich durchführt.

3. Auswertung

Im Anschluß daran diskutierten wir noch kurz über das Prinzip Zukunftswerkstatt.

Die Teilnehmer wurden erst am Freitag abend auf dieses Vorgehen eingestimmt. In Vorbereitung hatten sie ein INFO über Globale Probleme erhalten und sie erwarteten daraufhin eher eine seminaristische Veranstaltung dazu.

Es ist deshalb besonders schön, daß es gelang, an einem Tag die wesentlichsten Elemente einer Zukunftswerkstatt durchzuführen.

Wichtig ist in Zukunft die bessere Einordnung der Methode Zukunftswerkstatt in die langfristige Gruppenarbeit überhaupt. Dann ist auch der Bezug zu und die Relativierung gegenüber Disputen mit Rede und Gegenrede deutlicher.

 

 


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