Projektieren und Entwerfen mit V. Flusser

Obwohl das Internet laut Clifford Stoll dem Durstigen oft einen ganzen Wasserschwall aus dem Schlauch ins Gesicht spült, sind einige besonders funkelnde Spritzer nicht zu übersehen. Sie perlen an einem feingewobenen Netz miteinander korrespondierender Gedankengänge.

Auf eine der Perlen blinkte mit in den Webseiten von Claudia Klinger zum ersten Mal entgegen. Irgendwann spiegelte sich dies in einem Angebot, zwei Bücher mit Texten von ihm gleich online zu bestellen und ich klickte zu.

1. Vom Subjekt zum Projekt

Seine Ablehnung des Subjektcharakters erstaunte mich gleich. Für mich hat der Begriff "Subjekt" einen sehr emanzipativen Inhalt, weil er mit dem befreienden Ruf "Ich bin Ich!" alle Einengung und Eingrenzung durch die scheinbar unerschütterlichen natürlichen Gesetzlichkeiten umwarf und sich als freies Subjekt diesen Naturnotwendigkeiten gegenüberstellte (as222.htm).

Flusser dagegen identifiziert das Subjekt mit einem untertänig über die Dinge gebeugten Wesen (1, 39). Tatsächlich ist genau dies auch wieder aus dem Fichteschen Subjekt geworden, solange er als einzelnes bürgerliches Subjekt und nur im Geiste den harten Gegebenheiten zu enfliehen versucht und ihnen doch den Gesetzen des Marktes weiter unterliegt und lediglich Masken aufträgt, so individualistisch diese auch inzwischen aussehen mögen.

Flusser bezieht sich auf den Paradigmenwechsel, der die Dinge auflöste und stärker die Netzwerkartigkeit der Welt betont. Das ICH wird dabei ein sich ständig verschiebender Knoten in einem intersubjektiven Beziehungsnetzwerk (1, 14), es gibt keinen Halt in einem individuellen "Selbst". Er befreit sich also auch noch vom Fichteschen Subjekt mit demselben Ziel, das einst Fichte trieb: Die Freiheit.

Diese Negation ("Neg-Anthropologie") endet nicht im Nichts, sondern eröffnet die Möglichkeit einer unverkrampften, spielenden Praxis.

Durch die Aufgabe des sowieso schon durch die Vermassung zertrümmerten individuellen Subjekts werden wir frei für das "Projizieren alternativer Menschen und Welten" (1, 18).

"Da wir uns nicht mehr identifizieren können, beginnen wir uns als Knotenpunkte eines dialogischen Netzes und dieses intersubjektive Netz als ein Relationsfeld hinzunehmen, von dem aus auf andere Felder Projektionen entworfen werden, wobei sich hinterrücks diese Felder wieder mit dem projektierenden vernetzen." (1, 26)

2. Netzwerk-Kommunikation

"Die offene Vernetzung von Kompetenzen ist die Alternative zur inkompetent gewordenen einsamen Vermassung." (1, 73)

Schon früh erahnt Flusser die Möglichkeit einer "telematischen Informationsgesellschaft" durch Umschalten der Bündel der Informationsnetze und das Reversibilisieren der Kabel (2,86).

"Jeder Empfänger wäre verantwortlich, weil er zugleich auch Sender und von daher an der Herstellung der Bilder aktiv beteiligt wäre." (2, 86)

Obwohl er nicht übersieht, daß die gegenwärtige Fernsehgeneration sicher ihre Rolle als "Coach potatoes" nicht leicht aufgibt, hofft er auf eine neue Generation von Bildermachern und Bilderverbrauchern, die dabei ist, "eine neue Gesellschaftsstruktur und damit auch Realitätsstruktur zu schaffen." (2,87)

Die sich dabei entwickelnde neue Kommunikationsform verändert auch das Verhalten, Denken und Kommunizieren des einzelnen:

"Der Schreibende ist nicht mehr darauf aus, eine in sich selbst geschlossene, fertige, "perfekte" neue Information herzustellen, sondern er ist bemüht, bereits vorhandene Information so umzustrukturieren und mit Geräuschen zu bereichern, daß andere damit kreativ weiterspielen können. " (2, 62)

Ja, jetzt verstehe ich gut, warum Claudia Klinger sich und ihre Arbeit in genau dieser Beschreibung wiederfindet! Sie wird mit ihren Webprojekten zur Verlegerin als "Brennpunkt des im Weben begriffenen Gewebes" (2, 63).

"Das Ziel ist nicht mehr, irgend etwas herzustellen, sondern der Geste des Herstellens selbst freien Raum zu schaffen." (2, 63)

Auch Papierbeschreiben kann diesem Ziel dienen - das Festlegen der Schrift bringt aber tatsächlich auch eine Verhärtung ins Denken.

Erst elektronisch kann man beginnen, "wenn man auf diese Art schreibt, beim Schreiben dialogisch zu denken, zu schaffen, zu leben." (2.65)

Mein eigenes Webprojekt ist zwar wesentlich mehr diskursiv-informierend (was bei Flusser als gegenüber der dialogischen eher abzulehnende Kommunikationsform gewertet wird), aber ich spüre tatsächlich durch die Erfahrung der mit dieser Web-Arbeit verbundenen Cyber-spacekommunikation mehr Mut zur Lockerheit - z.B. auch beim Buchschreiben...

3. Meckerecke

3.1. Arbeit macht unfrei?

Ich bin ja nun die Letzte, die dem Zwang zur Lohnarbeit zum Munde redet - sondern ich verteidige auch die Pflicht zur Faulheit. Das mache ich an anderer Stelle, deshalb kann ich hier aber auch mein Unbehagen gegenüber Flussers Ansicht äußern:

Er meint:

"Die Analyse zeigt, daß Arbeit unfrei macht, und zwar Arbeit im Sinn von "Werke machen" nicht minder wie im Sinn von "schuften". Daher ist es die Aufgabe der neuen Technik, alle Arbeit, alles Tun und Leiden, alle Operationen auf Maschinen abzuschieben, denn nicht Wirklichkeit, sondern Möglichkeit ist das Feld der Freiheit." (1,151). Vielleicht bin ich ja auch nur unmodern, bzw. noch zu "modern" - aber ich möchte schon daß meine (fast) in Freiheit erzeugte Entwürfe auch irgendeinen "Unterschied machen", im Sinne von: Spuren in der Wirklichkeit und nicht nur im spielerischen Cyberspace hinterlassen.

Da finde ich mich schon eher in einem früheren Text von Flusser wieder:

"Die menschliche Kommunikation ist das Erzeugen, Weitergeben und Speichern von Informationen, mit der Absicht, diese Informationen konkreten Phänomenen aufzuprägen und daher die Welt zu verändern. Sie ist ein Gespräch über die Welt der konkreten Phänomene." (2,19).

3.2. Körperlichkeit

"Durch unseren Körper sind wir den Bedingungen der objektiven Welt unterworfen..." Bisher hat man versucht, sich von dieser objektiven Bedingung durch die Manipulation der Welt zu emanziperen.... je mehr wir die Welt manipulieren, desto mehr geraten wir in Abhängigkeit der behandelten Dinge.... Die Antwort darauf ist die Manipulation des unterworfenen Körpers..." (1,98).

Ich weiß nicht, was da rauskommen soll. Auch wenn in Extremform unsere Geistesblitze nur noch in elektronischen Netzen umherschwirren, müssen diese Netze dem entropischen Niedergang entgehen, indem ihnen höherwertige und ganz wirkliche Energie zugeführt wird. Informationelle Unwahrscheinlichkeit und Komplexität braucht als Basis stofflich-energetische Strukturen - dem werden wir, bzw. unsere Gedanken nie entgehen können. Insofern mögen unsere Nachfahren zwar vielleicht Würmer sein wollen und sich als solche körper-designen, aber das ändert nichts Wesentliches von der Abhängigkeit, sondern bringt mit Sicherheit noch mehr Abhängigkeit, weil diese Körperformen nicht evolutiv entstandenen "Attraktoren" entsprechen, sondern durch künstlich geschaffene Bedingungen aufgepäppelt werden müssen (So argumentiert C. Spehr auch gegen die jetzige Gentechnologie).

4. Assoziationen

Ja, ich kann mich der Faszination vieler Gedanken und Ansätze nicht entziehen und werde in Zukunft vieles mit bedenken (in mein Assoziationsnetz aufnehmen). Manches hatte ich auch anderswo schon gefunden, was mich darin bestärkt, darin echte Trends und Tendenzen wiederzuerkennen.

Daß ich nicht mit allem einverstanden bin, muß - obwohl diese von mir abgelehnten Gedanken bei ihm recht zentral sind - vielleicht nicht so schlimm sein. Heutzutage soll man doch angesichts der Ablehnung "großer Erzählungen" eh nicht mehr immer "das Ganze" suchen, oder?

[1] Flusser, V., Vom Subjekt zum Projekt. Menschwerdung, Bernsheim-Düsseldorf 1994

[2] Der Flusser-Reader zu Kommunikation, Medien und Design, Bernsheim-Düsseldorf 1995

 


siehe auch: Wir sind immer noch unterwegs... (Z.Baumann)
zur Postmoderne und
Hyper-Dialektik

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