Bemerkung von Heinz Weinhausen: Diese Überschrift, die im Nov. 98 noch provozierend wachrütteln wollte, ist leider alltägliche Realität geworden:

 

SCHÜTZT DIE MENSCHENRECHTE!
BOMBARDIERT BELGRAD!

Franz Schandl

 

Die exklusive Allzuständigkeit von USA und NATO ist kein Thema, sie ist unhinterfragter Zusatz jedes internationalisierbaren Konflikts.

Kaum jemand diskutiert mehr, ob die sollen oder dürfen, sondern nur noch, wie sie es am besten anstellen. Konsens ist, und das bis weit in die (ehemalige) Linke hinein, daß die Serben zur Räson gebracht werden müssen.

Freilich, ohne daß in westlichen Medien aus Erschießungen Massenerschießungen, aus Gräbern Massengräber werden, letztlich aus gegenseitigen Übergriffen ein einseitiger Völkermord, wird die geforderte Intervention kaum machbar sein. Eilfertige Journalisten haben daher bereits gefunden, wonach gesucht wird. Das ist ihre Aufgabe. Wenn der Westen den Krieg will, dann werden seine Programme dementsprechend programmiert sein. Gegenwärtig erleben wir lediglich den Vorgeschmack einer Frontberichterstattung. Wer also meint, daß nur die serbische Seite verlogene Propaganda betreibt, hat den Charakter der eigenen auch schon erfaßt - wenngleich noch nicht begriffen.

Die Serben sind ein Unvolk, ihr Präsident, "der grausamste Mann Europas" (Profil), dem man allerhöchstens noch eine "Galgenfrist" (Kurier) einräumt. Kritisiert wird, wenn die Säbel bloß rasseln, aber die Drohung nicht wahrgemacht wird. Die westliche Journaille will action. Blut ist ihr Geld. Sie ist eine magazinierte Dreckschleuder in multipler Ausgabe.

Besonders unerträglich ist einmal mehr der Ex-Trotzkist im Raiffeisenblatt, Georg Hoffmann-Ostenhof. Die NATO habe sich zu "ermannen", kolumniert er. Milosevic wird in Hausherrenmanier als "Slobo" vorgeführt, es gelte ihn "an den Verhandlungstisch zu schießen". Hierzulande erfordere die "politische Hygiene" das "anachronistische Konzept der Neutralität" über Bord zu werfen. Überflugsgenehmigungen sind zu erteilen, keine Frage. Weder Völkerrecht noch Neutralität verdienen Respekt und Achtung, Hoffmann-Ostenhof ruft offen, ja offensiv zu deren Bruch auf. Vom linksliberalen Hoffmann-Ostenhof bis zum rechtsradikalen Andreas Mölzer sind sich alle einig. Letzterer phantasiert sich in der Krone schon seinen Einmarsch zusammen. Melde gehorsamst, das Propagandabataillon an der Donau ist vollzählig angetreten! Im Falle genehmigter Überflüge von NATO-Maschinen im Kriegsfall wäre das Ende der Neutralität auch praktisch vollzogen. "Grundsätzlich kann das in einer Situation, wo es darum geht, Menschenleben zu retten, keine Frage sein", sagt Verteidigungsminister Werner Fasslabend diesbezüglich ganz kryptisch.

Täte man gewissenhaft alles bombardieren, was eine ähnliche oder gar größere Dimension als die Kosovo-Krise aufweist, dieser Planet würde aus dem Bombenhagel gar nicht herauskommen. Wer da nicht aller bestraft werden könnte: China wegen Tibet, Indonesien wegen Osttimor, die Türken wegen der Kurden, die Hutus wegen der Tutsi ud die Tutsi wegen der Hutu etc. Und wie oft hätte man eigentlich die US-Amerikaner und ihre Verbündeten schon züchtigen müssen?

Menschenrechtsverletzungen dienen bei diesem kulturindustriell inszenierten Kriegsauftakt nur als Vorwand zur Herstellung ideologischer Hegemonie. Der Welt soll an den Grenzen Europas gezeigt werden, wer die Herren sind, was die Herren dulden bzw. ab wann die Herren "andere Seiten aufziehen", wie es der hiesige Außenminister erst unlängst so ungeniert ausdrückte.

Sollte es zum Einsatz ausländischer Truppen in Jugoslawien kommen, ist die UNO, ja sogar das überaus fragile Völkerrecht ausgehebelt. Die sogenannte Ausnahme wird selbstverständlich zum Präzedenzfall. Was USA und NATO sich herausnehmen, warum sollte das partout für Rußland und China, Indien und Pakistan nicht gelten? Eine Intervention begünstigt zweifellos auch die nächste Runde in der Globalisierung regionaler Kämpfe.

Um uns nicht mißzuverstehen, wir reden hier keinem rein zuschauenden Pazifismus das Wort, oder behaupten, daß das Völkerrecht sakrosankt, eine Einmischung in andere Staaten absolut nicht zulässig ist. Überstaatliche Instanzen und Sanktionen sind nicht apriori auszuschließen, ja sie wären sogar nötig und sinnvoll. Was heute stört, ist aber, daß deren konkrete Form ausschließlich den spezifisch nördlich-kapitalistischen Aspekt der Welt repräsentiert, somit nichts anderes als ein internationales Gewaltmonopol einer weißen Herrenrasse sich durchsetzen will.

Die Kehrseite des Herrschaftsrassismus ist ein völlig degenierter Befreiungsnationalismus. Die gemeingefährliche Infamie, alle Gleichstämmigen in einen Staat stecken zu wollen und alle anderen auszuschließen oder zu drangsalieren, konnte am Balkan nur zum Krieg führen. Das Unglück besteht darin, daß Bevölkerungen sich nach wie vor als Völker begreifen, d.h. als nationale Schicksalsgemeinschaften und Handlungskollektive, nicht als Menschen, d.h. als Mitglieder transnationaler Solidargemeinschaften.

Der Krieg in Jugoslawien ist unter den jetzigen Bedingungen und mit den jetzigen Mitteln nicht lösbar. Ja, schlimmer noch: Der Balkan könnte Menetekel und Prototyp zukünftiger gewalttätiger Auseinandersetzungen werden. Im ganzen Konflikt ist jedenfalls keine emanzipatorische Front auszumachen. Vorherrschend sind Destabilisierung und Destruktion jedweder vernünftigen Kommunikation. Die Diskussion, ob man für oder gegen die Serben, für oder gegen die Albaner ist, ist eine unerträgliche Zumutung. Es geht nicht darum, dort für jemanden Partei zu ergreifen, es geht darum, hier ganz entschieden gegen die von NATO, Medien und Politik vorangetriebene Eskalation Stellung zu beziehen.

ZITAT

"Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Krieg bekömmt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlich großen Ungewißheit unterworfen." (Carl von Clausewitz)

Erst mal wieder
ins Philosophenstübchen

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