4. Weltpolitik und internationales Recht

Nachdem die Bedrohung der beiden gegenüberstehenden Gesellschaftssysteme durch das Verschwinden eines Systems beendet war, waren die Hoffnungen auf eine Stärkung des Friedens auf der Welt nur kurz. Die Optionen auf "Friedensdividende" blieben Utopien - die NATO suchte und fand neue Ziele, die militärische Optionen zu rechtfertigen schienen.

Die Chance zur "Zivilisierung der Außenpolitik" wurde durch die NATO-Länder, speziell die BRD nach dem Ende des "Kalten Krieges" nicht genutzt. Konsequent wurde in der Außenpolitik und auf weitere Einsatzfelder als früher ausgedehnt ("Interessenverteidigung": Blut für Öl und Einflußgebiete...) die Militarisierung fortgeführt.

Insgesamt sanken zwar die Verteidigungsetats seit 1990, jedoch funktioniert unter dem einstigen Kriegsdienstverweigerer Clinton eine massiver Rüstungsexport.




"Manche Leute mögen unsere Exportpolitik abstoßen finden, aber das sichert unsere Arbeitsplätze und gibt uns Macht und Einfluß im Ausland" zitiert die Zeitschrift WirtschaftsWoche einen Waffenhändler

 

4.1. Die UNO

Für die UNO wurden z.B. 1995 in einem Bericht von R. v. Weizsäcker und M. Quereshi Aufgaben für eine Umgestaltung vorgestellt. Die Umsetzung dieser Aufgaben hätte ihre jetzige Hilflosigkeit verhindert. Es ist nach den Ursachen und den dahinterstehenden Interessen zu fragen, die dies verhindert haben.

 





(
® siehe Punkt 5.1.)

 

"Es ist nicht die Schuld der UN-Organisation, dass sie bisher zu schwach war, um für ein friedliche Lösung des Kosovo-Konflikts sorgen zu können. Vielmehr hatten und haben gerade wichtige Nato-Staaten kein Interesse an einer "UN-Lösung" in Kosovo und überhaupt an einer funktionierenden und starken UN mit entsprechenden Kompetenzen. (Memorandum von Juristinnen und Juristen)

 

Die Behauptung, daß der Sicherheitsrat durch das Veto-Recht von Rußland und China "blockiert" gewesen sei, ist geradezu eine Unverschämtheit. Die Nutzung dieses Rechtes ist ja sein Sinn. Gerade die USA hatte dieses Recht hundertemale in Anspruch genommen und die Unterlegenen haben keine Kriege angezettelt. "Der Sicherheitsrat war nicht "blockiert", sondern es war klar, daß er die NATO nicht mandatiert hätte. Genau deshalb ist er nicht dazu gefragt worden." (Wohlrapp)

Als 1992 der UN-Generalsekretär in der "Agenda for Peace" Vorschläge zur Reform der Möglichkeiten der Vereinten Nationen zur präventiven Diplomatie, Friedensschaffung und Friedenssicherung machte, verhinderten die USA die Verlängerung seiner Amtszeit, weil sie Einbußen ihrer Supermachtrolle sahen. (Zwerenz)

 

 

"Die Regierungen der USA, Frankreichs und Grossbritanniens und alle sie unterstützenden Regierungen sind unglaubwürdig, wenn sie einerseits die UN als "handlungsunfähig " kritisieren, weil die russische Regierung im UN-Sicherheitsrat von ihrem Vetorecht gegen eine Ermächtigung der Nato zu militärischen Zwangsmassnahmen gegen Serbien Gebrauch gemacht hat, während sie andererseits zugleich selbst nicht bereit sind, die UN-Entscheidungsstrukturen zu reformieren, insbesondere auf ihr Vetorecht im UN-Sicherheitsrat zu verzichten." (Memorandum von Juristinnen und Juristen)




Realismusfalle:
man stellt eine Situation her, zu der es dann keine "realistische" Alternative mehr gibt...

 

Die 40 Jahre lang - während des "kalten Krieges" - einigermaßen funktionierenden politischen und rechtlichen Regelungen waren seitdem kaum Bestandteil links-alternativen Denkens. Deshalb haben wir jetzt auch so wenige Argumente, sie zu verteidigen und erforderlichenfalls Vorschläge für ihre konstruktive Weiterentwicklung zu machen. Es schockiert beinahe, wie selbstverständlich sie als "Papiertiger" und "ohnmächtig" beiseitegelegt werden und sich scheinbar (?) alternativlos die militärische Gewalt als neue Ordnungsmacht legitimiert.

Tatsächlich ist eine notwendige Überarbeitung und Entwicklung von Regelungen nicht zu verkennen:

  • Innerstaatliche Auseinandersetzungen steigen im Vergleich mit zwischenstaatlichen stark an und stellen die Mehrheit aller kriegerischen Konflikte.
  • Menschenrechte unterliegen schon seit längerem nicht mehr ausschließlich dem Willen nationaler Regierungen.

Entwickelt sich ein "Völkergewohnheitsrecht hin zur humanitären Intervention" (Ehrhart/Karádi)?








"Okay, Chef, hab ja gleich gemerkt, daß Diplomatie ein Kinderspiel ist..."

 

 

4.2. Zum Verhältnis Völkerrecht - Menschenrecht

Die Völkermordkonvention vom 9. Dezember 1948 enthält noch keine Eingriffsbefugnis für Drittstaaten im Falle eines Völkermordes.

Im Prager Dokument über die weitere Entwicklung der KSZE-Institutionen und -strukturen vom 30.1.1992 wird festgelegt:

"Zur Weiterentwicklung, der Fähigkeit der KSZE, Menschenrechte, Demokratie und Rechtstaatlichkeit mit friedlichen Mitteln zu schützen, beschloß der Rat, daß in Fällen von eindeutigen, groben und nicht behobenen Verletzungen einschlägiger KSZE-Verpflichtungen angemessene Maßnahmen durch den Rat bzw. den Ausschuß Hoher Beamter getroffen werden können, erforderlichenfalls auch ohne Zustimmung des betroffenen Staates. Solche Maßnahmen wären politische Erklärungen oder andere politische Schritte, die außerhalb des Territoriums des betroffenen Staates anwendbar sind." (zit. Lutz, S. 226).

1994 wurde der "Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Apsekten der Sicherheit" von Budapester Überprüfungskonferenz angenommen:

Er löst das Spannungsverhältnis zweier völkerrechtlicher Grundprinzipien: des Rechtes auf Selbstbestimmung einerseits versus die territoriale Integrität und die staatliche Souveränität andererseits (Lutz, S. 227)

Aber hier wie auch beim Prinzip "Menschenrechte vor nationaler Souveränität" (nach Fastenrath U., im OSZE-Jahrbuch 1996, nach Lutz, S. 226) geht es höchstens um DISKUSSION dazu, nicht um Bomben!!! (Beispiel: Entsendung einer OSZE-Unterstützungsgruppe nach Grosny , d.h. nur politische Willensakte, keine rechtlichen Verbindlichkeiten)

Genauso wie die Problematik, was jeweils unter "Menschenrechten" zu verstehen ist, ist auch das Wort "Völkermord" nicht eindeutig definiert. Während gerade die USA den Tod Hundertausender Menschen in Ruanda noch lange nicht als Völkermord deklarierte, waren Hunderte tote Albaner (von denen wie immer jeder einer zuviel war! und die toten Serben auch nicht beachtet wurden) im Kosovo plötzlich ein ausreichender Vorwand für den Bruch des geltenden Rechts.

Obwohl es aus der Sicht der Menschenrechte ein Fortschritt ist, daß "der Staat ... nicht mehr als absoluter Herrscher über sein Territorium und seine Bürger akzeptiert (wird)" (Schmid, T., S. 21), wächst gleichzeitig die Gefahr einer Rückkehr zur Kanonenbootdiplomatie (S. 22).

 

 

 

"Wenn der Westen sich aber auf die Beschwörung der universellen Menschenrechte und auf moralistische Diskurse beschränkt, bleibt der Mangel eines völkerrechtlichen Friedenssicherungssysems verdeckt." (Oeter)

 

 

 

 

 

 

Was passiert mit den Minderheiten, wenn die Mehrheit als "Selbst" dominiert?

 

 

J. Habermas will das "Völkerrecht in ein Recht der Weltbürger" transformieren. Das gebrochene Völkerrecht wird als "klassisch" abgeschrieben und dem "kosmopolitischen Recht einer Weltbürgergesellschaft" geopfert. Dabei gibt es ein Mißverständnis: Die von Habermas anvisierte Transformation ist eigentlich eine löbliche Utopie - aber nicht das, was gegenwärtig geschieht. Was geschieht, ist nur der negative Bruch des Vorhandenen, ein Rückschritt ohne tatsächlich vorwärtsweisende zivilisatorische Komponente.

 

 

4.5. Rechtsbruch

Der Bruch völkerrechtlicher Regelungen - und des bundesdeutschen Grundgesetzes - durch die Bombenangriffe ist im allgemeinen unbestritten.

"Rambouillet war keine Verhandlung... sondern ein Ultimatum." (Henry Kissinger, nach Reinert)


 

UN-Charta:

Nur der UN-Sicherheitsrat kann beschließen, zur Herstellung des Friedens Waffen einzusetzen.

NATO-Vertrag von 1949:

Verteidigungsmaßnahmen sind nur vorgesehen, wenn ein oder mehrere Mitglieder im Vertragsgebiet einem bewaffneten Angriff ausgesetzt sind.

 

Grundgesetz Artikel 26 (1):

Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig.

Grundgesetz Artikel 87 a (2):

Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.


 

Damit ist den eventuell weiterführenden weltpolitischen und rechtlichen Klärungsprozessen einfach vorgegriffen worden und Tatsachen geschaffen, die alle weiteren Prozesse prägen werden. Entweder die Macht des Stärkeren wird wieder zum Faust-"Recht" - oder wir nehmen dies zum Anlaß, einen Trendwechsel zu erwingen und die Fragen zivilisiert, human und vorwärtsweisend zu beantworten.

"Bomb, NATO, bomb!"

Demo von (Kosovo-) Albanern vor dem Weißen Haus (31.3.1999)

 

4.6. Weltpolitische Weichenstellung

Die Gefahr dieses Krieges liegt nicht nur in der unmittelbaren Lebensbedrohung, den zerstörten Gütern und der bedrohlichen Naturzerstörung. Dieser Krieg und seine Konsequenzen stellen die Weichen darüber, wie in Zukunft Konflikte auf der Welt gelöst werden.

"Noch gefährlicher ist, dass sich hier eine Politik etabliert, die ihre Interessen mit Bomben durchsetzt. Was hier mit Jugoslawien ausprobiert wird, könnte im Nahen Osten oder in Nordafrika jederzeit Realität werden." (ARGE etc.)

Statt des Systems kollektiver Sicherheit für ganz Europa (incl. Rußland) unter dem Motto "OSZE first" hat sich die Interessendurchpeitschungspolitik "NATO first" vorerst durchgesetzt.

"Die Wiederbelebung des Militärischen läßt für das kommende Jahrhundert wenig Gutes erwarten, wenn Konflikte um knappe Ressourcen bevorstehen." (Scheffran)

® siehe NATO-Strategie (Punkt 3.2.1.)

 

 


Weiter zu:

1. Geschichtliche Hintergründe (Kosovo)
2. Der Bürgerkrieg im Kosovo - der NATO-Krieg in Jugoslawien
3. Hintergründe und Interessen
5. Chancen des Friedens
Literatur und Quellen


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Siehe auch:

Oder:

 

Erst mal wieder
ins Philosophenstübchen

- Diese Seite ist Bestandteil von "Annettes Philosophenstübchen" © 1999 - http://www.thur.de/philo/jug354.htm -