Zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien und Debatte in den Kirchen

Bewahrung von Menschenrechten nur durch Herrschaft des Rechts

Der Artikel "Moral allein genügt nicht" von Dr. Hermann Barth in der Süddeutschen Zeitung vom 16. Juni 1999 offenbart die Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirchen Deutschlands (EKD) mit der Akzeptanz des Krieges als ultima Ratio nach den letzten Ereignissen als eklatant irrational.

Heutzutage kann jeder informiert darüber sein, daß die militärische Technik, die militärische Gewalt, so weit entwickelt ist, daß die Schöpfung an sich in Gefahr gerät, wenn solche Mittel zur Anwendung kommen. Allein diese Realität macht die Anwendung militärischer Gewalt irrational. Dies ist der Punkt, worauf sich die Aufmerksamkeit von Verantwortungsträgern konzentrieren muß, um rationale Konsequenzen daraus zu ziehen. Deshalb ist es notwendig, daß die EKD und ihre Theologen wie Hermann Barth diese Gedanken noch einmal aufgreifen, anstatt sie zu verschweigen.

Wovon reden wir eigentlich, wenn wir von militärischer Gewalt sprechen? Ist es dem Autor nicht klar, daß es um Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen geht, um Landminen, Streubomben und andere Massenvernichtungsmittel, die pure Vernichtung und Ausrottung von Menschen und Leben, von Schöpfung bedeuten? Diese Realität erscheint in allen Überlegungen von Theologen, die den Krieg heute noch rechtfertigen wollen, völlig außer Acht gelassen.

In keiner Weise trägt der Artikel zur Klärung der Gedanken bei, die ungeklärt einen ungewollten Freibrief für interessierte Kreise in Deutschland darstellen können, unter dem Vorwand Opfer oder Schwache zu befreien, einen Vernichtungskrieg zu führen, wie es gerade die NATO in Jugoslawien getan hat.

Das ganze letzte Jahrzehnt dieses Milleniums ist von diesem Thema geprägt worden, ob Menschenrechte eventuell im äußersten Fall durch militärische Einsätze, nämlich durch Gewalt, bewahrt werden können und dürfen. Seit Anfang der 90 Jahre war klar, daß diese zentrale Debatte entscheidend war, um die zukünftige Weltpolitik zu beeinflussen. Schon damals war nur eine Position der EKD deutlich zu hören, fatalerweise diejenige, die aus der blutigen Geschichte des Christentums nicht die konsequente Lehre gezogen hat und die alte Antwort von Gewalt gegen Gewalt immer noch zu rechtfertigen versucht, ohne einen theologischen Einwand zum militärischen Einsatz einzusehen, wenn es um Menschenrechte geht. Schon damals ließ Dr. Hermann Barth mit Massenwirkung über das Fernsehen und Presseagenturen verlauten, es gäbe keine theologischen Einwände zum Einsatz von Militär bei humanitären Interventionen. (Dezember 1993, MDR-Fernsehen)

In dem Moment, in dem mittelalterliche Stimmen der Kirche die Medien und die Öffentlichkeit erreichen, gewinnt der Militarismus in Deutschland neue Kraft unter dem Schafspelz von humanitärer Intervention oder der Bewahrung von Menschenrechten. Immerhin vertritt das Verteidigungsministerium damals wie heute eine solche Politik der militärischen Intervention mit dem Etikett der humanitären Hilfe. Gerade hier liegt die Gefahr, hinter einer sogenannten humanitären Intervention die Doktrin für militärischen Interventionismus zu verschleiern.

Humanitäre Hilfe und die Notlage von Menschen und Völkern als Anlaß zu nutzen, um militärische Maßnahmen zu rechtfertigen, ist offensichtlich höchst perfid. Die Debatte kann nur zu größerer Verwirrung in der Bevölkerung führen, wenn Prinzipien mißachtet werden und keine konsequente Schlußfolgerung von akademischen Persönlichkeiten deutlich zu vernehmen sind, denn diese Debatte betrifft eine grundsätzlich ethische und prinzipiell politische Frage. Der Theologe und Ethiker Dr. Lienemann hat dies mehrfach erläutert und klargestellt: Die Bewahrung von Menschenrechten erreicht man nur durch die Herrschaft des Rechts. Zur Herrschaft des Rechts gehört vor allem eine humanistische Kultur, die aus einem überzeugten Bewußtsein herrühren muß und die entsprechend handelnde Vorbilder braucht. Europa steht heute mehr denn je vor einem Lernprozeß, was Respekt, Menschenwürde und Wahrung der Menschenrechte in einer vielfältigen Welt betrifft.

Bereits nach dem Ersten Weltkrieg wurde auf diesem Kontinent deutlich, daß die militärische Technologie es schon damals unmöglich machte, die Verhältnismäßigkeit der Mittel in einer militärischen Auseinandersetzung zu wahren. Schon deshalb war das Urteil von Bertha von Suttner voll zutreffend und bleibt von aktueller Bedeutung für dieses Jahrhundert: Der Krieg ist das größte Verbrechen aller menschlichen Verbrechen. Tief beunruhigend ist es deshalb und Anlaß zu heftigem Widerspruch, wenn mittels führender Presseorgane von Theologen wie Dr. Hermann Barth und anläßlich eines Kirchentages heute noch der mittelalterliche Begriff des gerechten Krieges in die Diskussion eingeführt wird und für einige Kirchenvertreter zu gelten scheint in einem Zeitalter von atomaren Vernichtungsmitteln und hochentwickelter Zerstörungspotentiale aller militärischen Technik, was heute europaweit bekannt ist. Schon mitten im Kalten Krieg haben angesichts des ungeheuren Vernichtungspotentials vernünftige Stimmen für die Entmilitarisierung der Außenpolitik und Abrüstung heftig plädiert. Heute ist dieses Ziel ein zivilisatorisches Minimum, das durch den jüngsten Angriffskrieg der NATO (März-Juni 1999) in weite Ferne gebombt zu sein scheint.

Militärische Mittel gehören zum alten Denken der Konfrontation und sind als völlig ungeeignet auszuschließen und ethisch nicht zu verantworten, um Probleme oder Konflikte zu vermeiden oder zu bewältigen, vor allem nicht, wenn Risiken der Verwicklung in einen Krieg nicht auszuschließen sind, was auch Kardinal König aus Wien erkannt hat. Gerade zum Neuen Denken gehört die Gewaltfreiheit, und zwar genau wegen des unkontrollierten Zerstörungspotentials der hochtechnifizierten militärischen Mittel. Über diese irrsinnigen Vernichtungspotentiale sind sich Militärs und Soldaten voll bewußt aufgrund ihres Trainings. Gerade die Erkenntnis dieser heutigen bedrohlichen Realität führt zur Schlußfolgerung aus theologischer Sicht und Verantwortungsethik, militärische Mittel auszuschließen und alle Kriege und Einsätze militärischer Mittel als verbrecherisch zu bezeichnen und im internationalen Recht zu ahnden. Unterläßt man dies wie Dr. Hermann Barth, gerät man in das Absurdum und die Perversion der Gedanken, um andere Absichten - willentlich oder unwillentlich - zu decken.

Nach dem Fall der Berliner Mauer (November 1989) und der Demokratisierung Osteuropas wird der Kalte Krieg als beendet betrachtet. Allerdings fragt sich niemand, ob nicht dennoch die Mentalität des Kalten Krieges mit gleicher Gültigkeit die gegenwärtige Außenpolitik immer noch prägt. Vierzig Jahre lang hat die USA versucht, gegenüber der Sowjetunion militärische Überlegenheit zu behaupten, den Sozialismus zurückzudrängen und die Herrschaft der USA über die Welt aufrechtzuerhalten.

Heute noch, am Ende des 20. Jahrhundert, beschäftigt sich die USA-Außenpolitik mit der Frage der 70er Jahre, mit welchen Mitteln ihre Ziele erreicht werden sollten. Aber zum ersten Mal wurde nicht nur die Frage der Veränderung der einzelnen Mittel und Methoden der Außenpolitik auf die Tagesordnung gesetzt, sondern die einer bestimmten Korrektur der Außenpolitik selbst. Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung in den USA und in Europa stehen Überlegungen, wie Macht künftig eingesetzt werden sollte.

Bis in die 60er Jahre hinein war Macht vor allem militärisch verstanden worden. In den 50er Jahren stand eine aggressive Militärstrategie im Mittelpunkt, die Formierung eines umfassenden, von den USA kontrollierten Militärblocksystems, die NATO, ein Militärbündnis, das noch heute im Widerspruch mit der Gewaltlosigkeit und der nichtmilitärischen Mittel der OSZE und der Charta von Paris steht, um Kontroversen beizulegen.

Was die UNO betrifft, ist immer daran zu erinnern: "Die Charta der Vereinten Nationen verknüpft die Friedenssicherung durch weltweiten Gewaltverzicht und die Friedensförderung durch weltweite Anerkennung der Würde der menschlichen Person unmittelbar miteinander. Der Abbau der Gewalt und die Durchsetzung der Menschenrechte bilden die beiden Pfeiler, auf denen die Friedenskonzeption der Vereinten Nationen ruht. Dauerhafter Frieden kann nur erreicht und gesichert werden, wenn Konflikte zwischen den Staaten auf gewaltfreiem Weg beigelegt werden und wenn alle Menschen in ihrer Würde so geachtet werden, daß sie keinen Grund zu dem Versuch haben, sich ihr Recht mit Gewalt zu holen". (Bischof Dr. Wolfgang Huber).

Der Schriftsteller und 1993 russischer Botschafter in Luxemburg Tschingis Aitmatow mahnt: "Man sollte nie vergessen, daß die UNO nicht gegründet wurde, damit die Großmächte die Weltordnung bestimmen, im Gegenteil war daran gedacht, den Frieden in der Welt auf der Basis der Zusammenarbeit aller Länder zu fördern, ohne zwischen großen und kleinen Staaten zu unterscheiden. Zu den aller wichtigsten Aufgaben der UNO gehören die unablässigen Anstrengungen, das Leben auf der Erde zu bewahren. Aber nach wie vor werden die Möglichkeit für die Erhaltung des Friedens und die Entwicklungsprojekte von globaler Bedeutung durch die souveränen Staaten eingeschränkt. Jeder Staat verfolgt seine eigenen Interessen, und die UNO hat sich in eine Rennbahn verwandelt, wo die Großmächte ihren Egoismus demonstrieren. Statt eines Forums der Staaten brauchen wir ein Weltforum mit menschlichem Gesicht - ein allgemeinmenschliches Parlament. In diesem Zusammenhang sind die nichtstaatlichen Organisationen der UNO (NGO) von großer Bedeutung".

Die brennende Frage der Gegenwart betrifft heute mehr denn je die atlantische Politik, also die zukünftige Außenpolitik Amerikas und Europas, die vorurteilsfrei feststellen muß, welche Werte sich in der bisherigen Geschichte bewährt haben und welche Doktrinen und Ideen tödliche Gefahren mit sich bringen. Die Idee der kollektiven Sicherheit, wie in der Charta der Vereinten Nationen konzipiert, ist eine gefährliche Täuschungsidee, die absolut keinen Frieden bewahrt, sondern eher zu einem Krieg von allen gegen einen unter Legitimation der UNO führen kann. Dr. Heinz Gärtner vom Institut für Internationale Politik in Laxenburg, Österreich, hat vor Jahren davor gewarnt: "Unabhängig was davon tatsächlich auf den konkreten Fall Jugoslawien zutrifft, birgt kollektive Sicherheit so eine Gefahr in sich, wenn sie funktionieren sollte. Eine automatische und bindende Verpflichtung aller Mitglieder, bei jeder Aggression auch militärisch zu intervenieren, könnte kleinere Konflikte in größere Kriege verwandeln. Läßt sich ein Mitgliedstaat von der kollektiven Übermacht aber nicht abschrecken, muß der Systemmechanismus ausgelöst werden, der dann immer die Eskalationsgefahr in sich birgt". Die kriegerischen Ereignisse, Golfkrieg 1998 und NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999, gaben seiner Warnung Recht. Seine Schlußfolgerung ist zutreffend: "Praktische Erfahrungen haben gezeigt, daß auch nach dem Ende des Kalten Krieges weder eine institutionelle Strategie, noch eine Gemeinschaft demokratischer Staaten oder eine höhere gemeinsame Autorität, und auch nicht das Konzept kollektiver Sicherheit eine Garantie für Frieden und Stabilität geben können".

Aitmatows Worte bleiben eine gültige Mahnung, gerade jetzt nach den Bomben-Attacken der westlichen Industrieländer auf den Irak und Jugoslawien : "Das Wesen der Ungerechtigkeit liegt meines Erachtens ... wenn Propheten auftreten, die das Recht beanspruchen, andere zu beglücken, selbst wenn diese die Gnade nicht wünschen, der gnädige Prophet aber zu wüten beginnt und sich in einen unerbittlichen Henker verwandelt" (Tschingis Aitmatow: Ein Dialog).

Frieden ist das höchste Gut der Menschheit und bedarf des besonderen Schutzes, auch durch das Wort von Theologen. Dr. Hermann Barth wird als ernsthafter Theologe nicht darum herumkommen in diesem Geist seinen Aufsatz in der Süddeutschen Zeitung zu revidieren. Das ist er seiner Position und allen Christen des Landes schuldig.

- Luz María Destéfano de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D., Kamperweg 16, 40670 Meerbusch -

 


Zum Krieg in Jugoslawien

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