Protokoll unseres Arbeitstreffens
- Ums Menschsein geht es... - Zukunftswerkstatt Jena 2002

Protokoll 23.04.2002:

I.1. Kategorien, Begreifendes Denken *

I.1.1. Das Problem *
I.1.2. Die Lösung bei Holzkamp *
I.1.3. Allgemein dazu *

I.1. Kategorien, Begreifendes Denken

I.1.1. Das Problem

Reicht es aus, so tolerant wie möglich Meinungen auszutauschen und dann nebeneinander stehen zu lassen (1)? Sollten die Meinungen zusammen wenigstens so etwas wie ein Puzzle ergeben? Gibt es so etwas wie "Verallgemeinerungen auf jeweils höherer Ebene"? Was macht die höhere Qualität des Wissenschaftlichen (scientia (2) bzw. (3)) gegenüber dem bloßen Meinen (doxa (1)) aus?

Denk- und Kommunikations"werkzeug": Sprache. Bewusste Werkzeugverwendung!
Worte – Wortbedeutungen...

Definitionen: ("Bestimmung", "Eingrenzung")

  • Verbaldefinition: aus sprachlich-etymologischer Herkunft
  • Nominaldefinition: einen Begriff auf andere zurückführen, wenn Begriffssystem schon da ist (Gattungsbegriff + Besonderheit)
  • Realdefinition: Aufweisung geeigneter Gegenstände als Beispiele

Kategorien (Verbaldefinition: gr. kategorein= "aussagen"):

  1. bei Aristoteles Kategorie = Art einer Aussage, z.B. Wesenssaussage, Größenaussage, Qualitätsaussage, Tätigkeitsaussage... (insg. vollständiges System von 10 Kategorien)
  2. bei Kant: Kategorie = Gedankenform, entsprechend der wir die Gegenstände der Erfahrung ordnen: "Ich kann mir keinen Gegenstand denken, der, wenn er mir in der Erfahrung entgegentritt, nicht eine Ausdehnung besitzt und entweder eine Einheit oder eine Vielheit und der eine Allheit ist (Kategorie der Quantität), der keine Eigenschaften hat (der Qualität), nicht in Beziehung zu anderen Gegenständen (der Relation) steht, möglich oder unmöglich, wirklich oder unwirklich, notwendig oder zufällig ist." (nach Hoffmeister, S. 345)
  3. -> reine Verstandesbegriffe, die aller Erfahrung vorausgehen ( a priori)

Begriff (Verbaldef.: mhd. (Eckhart) begrif, begrifunge für lat. conceptus, notio bzw. grch. logos),
  1. Chr. Wolff: eine jede Vorstellung einer Sache in Gedanken
  2. Kant: Begriff ist der Anschauung entgegengesetzt: allgemeine Vorstellung, oder eine Vorstellung dessen, was mehreren Objekten gemein ist
  3. bis hierher: Begriff als etwas Abstraktes, Allgemeines, Generelles im Unterschied zum Besonderen, Konkreten, Individuellen
  4. Hegel: "das eigene Selbst des Gegenstandes" – im Unterschied zum abstrakt-Allgemeinen in b) nun das konkret-Allgemeine in c) (hierbei wird realisiert sich das Allgemeine im Besonderen, das Besondere wird nicht im Allgemeinen aufgelöst oder ist ihm nur entgegengesetzt).

Deuten (mhd. duiten: hinzeigen)

Begreifen: (lat: comprehendere = erfassen)

einen unerschlossenen Zustand zu einem erschlossenen, etwas Verborgenes zu einem Offenbarem, d.h. allgemein Einsehbarem machen. (Hoffmeister, S. 162)

Erfassen eines Gegenstands, Sachverhalts oder Vorgangs in seinem Wesen, seinem Zusammenhang mit anderen, seinen Ursachen und seinem Zweck (Hoffmeister, S. 106)

Wissenschaft: "das, was man weiß"...
  • Ansprüche an "Wissenschaftlichkeit" verschieden
    • klassisch: aus einem Prinzip ableitbar (Fichte, Schelling...)
    • moderne Wissenschaftstheorie: Theorieform mit Gesetzeswissen als Kern
    • Poppersche Wissenschaftstheorie (entwickelt im logischen Rationalismus): wissenschaftliche Theorie muß falsifizierbar sein
  • Problem: Allgemeinheit wird gewünscht, es soll aber keine beliebige (unwesentliche) Zusammenfassung von Gemeinsamkeiten sein, sondern .... irgend etwas anderes:
    • Diskussion über besondere Form der Notwendigkeit, die der Allgemeinheit noch zukommen müsse
    • Allgemeinheit und Notwendigkeit kann aber nicht allein induktiv ermittelt werden (-> Falsifizierungsforderung)
    • auf Begriff "Wesen" (Allgemeinheit des Wesentlichen) wird in moderner Wissenschaftstheorie wegen Ablehnung der "spekulativen Philosophie" i.a. verzichtet, "Essentialismus" abgelehnt.
    • Hegel und Marx: Erkenntnis des Wesens hinter den Erscheinungen, der "inneren Logik" gegenüber der Oberflächenabbildung

I.1.2. Die Lösung bei Holzkamp

Einzelwissenschaften bewegen sich üblicherweise in der Phase (2) der Tabelle im Abschnitt I.1.3. Holzkamp geht in Richtung (3) weiter, indem er die Kategorien der Psychologie begründen will.

"Grundlegung der Psychologie":

  • nicht nur Grundlegung der Kritischen Psychologie, sondern: bisherige Psychologie hatte noch gar keine Grundlegung, weil sie über ihre Kategorien nicht nachdachte (sie nicht einmal eindeutig definierte)

"Kritische Psychologie ist keine neue Theorie, auch keine Schule, sondern eigentlich ein Versuch, auf einer paradigmatischen Ebene eine neue Sorte von psychologischen Grundbegriffen wissenschaftlich abzuleiten." (Holzkamp 1983)

  • Schwerpunkt der "Kritischen Psychologie" liegt prinzipiell auf der kategorialen Ebene (Holzkamp, Grundlegung, S. 32)
  • "Jedem... Konzept sind mit dem >einzeltheoretischen< Bezug auf aktuell Beobachtbares notwendig immer auch >kategoriale< Bestimmungen inhärent, von denen der übergeordnete Gegenstandsbezug des Konzepts abhängt, durch die also determiniert ist, was an einem Gegenstandsbereich aufgrund einer theoretischen Konzeption überhaupt beobachtbar ist." (Holzkamp 1985, S. 509)

-> kategoriale Ebene "über" der einzeltheoretisch-aktualempirischen Ebene

Kategorien: = "diejenigen Grundbegriffe..., mit welchen in einer empirischen Wissenschaft oder in übergreifenden Arbeitsrichtungen innerhalb dieser Wissenschaft (ob implizit oder unbewusst) ihr Gegenstand, seine Abgrenzung nach außen, sein Wesen, seine innere Struktur bestimmt sind (in der Physik sind derartige Kategorien etwa >Masse<, >Energie<, >Kraft< etc.)." (Holzkamp, Grundlegung, S. 27)

    • vgl. -> "Kategorienvergleich" im Anhang 1

    • "Solche Kategorien schließen stets bestimmte methodologische Vorstellungen darüber ein, wie man wissenschaftlich vorzugehen hat, um einen Gegenstand adäquat zu erfassen." (ebd.)
    • Kategorien sind keine Beschreibungsbegriffe (es lassen sich für sie keine Beispiele aufstellen!), z.B.: >sinnlich-vitale< bzw. >produktive< Bedürfnisse gibt es als solche nicht, sondern dieses Begriffspaar "dient zur analytischen Aufschließung eines bestimmten Verhältnisses als deren wesentliche Bestimmung, von der aus meine Bedürfnislage für mich in ihrem >Aussagewert< für meine Lebenslage und die sich daraus ergebe

Henne-Ei-Problem: Hier ist die Welt in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit – da sind die von uns gewählten Kategorien, mit der wir sie erfassen. Kategorien sind nicht nur "Abbilder" - aber auch keine willkürlichen Konstruktionen!

-> Kategorialanalyse (siehe II.)

Zu Methode allgemein:

Wechsel: Inhalt-Methode (mit sich entwickelndem Inhalt- z.B. menschliche Psyche - verändert sich auch die Methode (funktional-historisch ® gesellschaftlich-historisch)

Zum Unterschied zwischen Deuten und Begreifen:

restriktive Handlungsfähigkeit:
Deuten

verallgemeinerte Handlungsfähigkeit:
Begreifen

  • negiert "doppelte Möglichkeit"
  • dominante kognitive Erfassung von >Faktizität< gegenüber >Potentialität<
  • >formale< Charakteristika als allgemeine kognitive Struktur (S. 386)
  • Naturalisierung und Mystifizierung der Lebensbedingungen der bgl. Gesellschaft
  • Problemlösung nur person- und interaktionsreduziert denkbar (S. 388)
  • gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit ist eliminiert und negiert
  • Reduktion des Handelns aufs >Operative<
  • gnostische Distanz geht durch Konzentration aufs unmittelbar Gegebene verloren
  • = anschauliches Denken (S. 389)
  • Erscheinung und Wesen identifiziert
  • Denken vom Standort "außerhalb" (nicht: mein Denken nur eine personale Realisierungsweise ges. Denkformen) (S. 389)
  • >personalisierendes< Denken
  • ->
  • interpersonale Beziehungen nur instrumentell (390)
  • >normen<-geregeltes Beziehungen
  • >Psychisierung< gesellschaftlicher Widersprüche (S. 401)
  • schließt deutendes Denken mit ein, dieses kann aber als scheinhaftig nachgewiesen werden
  • überschreitet es durch Verweisungen auf gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit (S. 395)
  • erfasst die Alltagsrealität in ihrer Bestimmtheit durch die antag., bgl. Klassenverhältn., ("Bewußtheit der Entfremdung"),
  • Entnaturalisierung bgl. Herrschaftsverhältnisse und Erkenntnis als veränderbar
  • vom >Standpunkt innerhalb< des historischen Prozesses (S. 399)
  • nicht mehr Frage, OB Verfügungserweiterung möglich ist, sonder WIE die immer bestehenden Möglichkeiten realisiert werden können. (S. 400f)
  • kann objektive Widersprüche im Denken widerspruchsfrei abbilden und Praxis zur Überwindung anleiten (S. 401)
  • niemals aus bloß logischen Erwägungen Übergang vom Deuten ins Begreifen möglich (S. 399), sondern Prozeß der Widersprüche muß >durch mich hindurch< gehen
    • subjektive Möglichkeit des Begreifens basiert darauf, daß subjektive Funktionalität/Begründetheit der Befindlichkeit restriktiver Handlungsfähigkeit >in sich< widersprüchlich und brüchig ist.: Verletzung der eigenen menschlichen Lebensinteressen muß verdrängt werden, Unbewußtes als "permanentes Resultat der Unterdrückung >besseren Wissens<. durch das Subjekt" (S. 397) und ">Abwehr< schließt paradoxerweise die Kenntnis dessen, was da abgewehrt wird, mindestens als Ahnung der davon ausgehenden Bedrohung ein." (ebd.)
    • "Nur in der Perspektive ihrer Überwindbarkeit durch das eigene Handeln kann ich mir nämlich, wie dargelegt, die >Selbstfeindschaft< meiner bisherigen Lebenspraxis schrittweise zum Bewußtsein bringen und so in Richtung auf begreifende Wirklichkeitserfassung mich entwickeln" (Holzkamp 1985, S. 399) <Bedeutung von konkreten Utopien!>

    I.1.3. Allgemein dazu

    Erkenntnis:

    a) Verdopplung ("Kopie"/Abbild) der Oberfläche -> "Pseudokonkretheit" (Kosik)

    b) Erscheinung -> Wesen (-> Begriff); typische Aufeinanderfolge (von links nach rechts):

    "Kopie" des Unmittelbaren

    analytisch (äquivalente Einheiten gebildet,Widersprüche aufgehoben)

    dialektische Konkretisierung (Widersprüche enthalten)

    "pseudokonkret"

    "abstrakt" (z.B. Systemtheorie)

    "konkret" (Dialektik)

     

    Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten

    Meinungsaustausch

    definierte Verwendung von Kategorien

    Begründung der Kategorien

    (1)

    (2)

    (3)

    Protokoll von Annette

    Zur Abschrift des Mitschnitts: Stefan Meretz im Seminar März 2001 in Hütten zum Umgang mit Kategorien

     

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