Die 4 Seiten einer Nachricht

 
Menschliche Kommunikation kann im weiteren Sinne bestimmt werden als der "Aufbau von sozialen Kontakten durch Empfangen und Geben von Informationen" (Peters: 2004: 301).
Wenn Menschen sich etwas sagen, so ist das nicht nur eine Übermittlung von sachlichen Informationen. Die Art und Weise, wie der Sprecher etwas sagt und der Empfänger es aufnimmt, hat so gut wie immer auch etwas mit ihrer Beziehung zu tun. Diese Tatsache wird oft auch mit der Metapher des Eisbergs versinnbildlicht: Die reine Sachinformation ist das über dem Wasser Sichtbare - der Eisberg selbst aber verbirgt seinen größten Teil unter dem Wasser: die Beziehungsaspekte.

Friedemann Schulz von Thun ergänzte diese beiden Aspekte durch zwei weitere Faktoren, die in jeder menschlichen Kommunikation eine Rolle spielen: den Selbstkundgabe-Aspekt (in früheren Schriften auch "Selbstoffenbarung" genannt) und den Appell-Aspekt. (Schulz von Thun MR 1: 25ff.)


Die vier Seiten (Aspekte) einer Nachricht (http://www.schulz-von-thun.de/img/mod-img/komquadr.jpg)

Schulz von Thun erklärt diese 4 Seiten in einem Gespräch (Schulz von Thun: 101f.):
Ich als sprechende Person spreche immer mit "4 Schnäbeln":

  1. Ich übermittle Sachinformationen.
  2. Ich gebe gleichzeitig zu erkennen, wie mir gerade zumute ist.
  3. Ich gebe dabei auch zu erkennen, wie ich zu dir stehe und was ich von dir halte.
  4. Ich möchte mit meinem Sprechen Einfluss nehmen, etwas ausrichten, etwas erreichen.
In ähnlicher Weise hört die empfangende Person die entsprechenden Aspekte mehr oder weniger stark heraus (mit jeweils größeren oder kleineren Ohren).

Störungen in der Kommunikation ergeben sich vor allem dann, wenn die Beteiligten die vier Aspekte jeweils auf unterschiedliche Weise für bedeutsam halten. Ein typisches Beispiel ist die Nachricht eines Ehemanns an seine autofahrende Frau: "Du, da vorne ist grün!". Das stimmt sachlich, aber es steckt auch drin, dass er meint, besser Auto fahren zu können als sie (Selbstkundgabe), dass er sie anleiten will (Beziehungsebene) und dass er an sie appelliert, endlich loszufahren. Sie kann in Abhängigkeit davon, welches "Ohr" sie mehr auf Empfang gestellt hat, unterschiedlich reagieren. Meist jedoch hört sie die Beziehungsebene gut heraus und reagiert ungehalten: "Fährst du oder fahre ich?!". (Schulz von Thun: 2006: 154, MR 1: 25).

Da im Gespräch zwischen Menschen immer alle 4 Aspekte eine Rolle spielen, die Sprechenden udn die Hörenden aber ihre Aufmerksamkeit meist vorrangig auf einen oder wenige Aspekte lenken, sind Mißverständnisse vorprogrammiert. Es ist aus diesem Grund eher normal, dass es Mißverständnisse gibt; dass z.B. ein zu kleiner "Appellschnabel" mit einem kleinen "Appellohr" kombiniert zu Enttäuschungen führt, weil der implizit geäußerte Wunsch nicht efüllt wird.
Der häufig aufbrechende Streit darum, wer in einer Auseinandersetzung "Recht hat", ist oft müßig, denn es ist einfach so, dass der eine dies gesagt, der andere aber jenes herausgehört hat.

Das Wissen um diese 4 Aspekte einer Mitteilung zwischen Menschen kann helfen, sich darüber auszutauschen, welcher Aspekt wichtig ist, und wie das Mißverständnis gerade entstanden sein kann. Dieses "Sprechen über das Sprechen" ist dann ein "Metagespräch".


Dass der Empfänger wesentlich mit darüber bestimmt, was für ihn zum Inhalt der Mitteilung wird, ist ein Argument für konstruktivistische Argumente.

Da sich der Empfänger mit der von ihm herausgedeuteten Interpretation wieder an der Kommunikation beteiligt, ergeben sich Rückkopplungsschleifen, die im Problemfall die Grundlage für sog. Teufelskreise werden können.


Rückkopplung und Differenz im Nachrichteninhalt (nach Schulz von Thun MR 1: 81)


Literatur:
Peters, Uwe Henrik (2004): Lexikon Psychiatrie, Psychotherapie, Medizinische Psychologie. München: Urban und Fischer.
Schulz von Thun, Friedemann (MR 1): Miteinander reden 1. Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag (1981). 2004.
Schulz von Thun (2006): Klarkommen mit sich selbst und anderen. Reinbek: Rowohlt.

 
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