Informationstheorie auf dem Weg zur Dialektik?

Ich werde einen der am weitesten entwickelten Informationsbegriffe (nach Fleissner und Hofkirchner) vorstellen und dabei auch der Argumentation der Autoren folgen, die das Selbstorganisationskonzept in enger Verbindung mit diesem Informationsbegriff von seiner abstrakten Universalität in Richtung einer geeigneten Differenzierung ins Konkrete lotsen. Auf einige aus meiner Sicht notwendige Korrekturen werde ich, u.a. in anderen verlinkten Dateien, näher eingehen.

Der Informationsbegriff *
Das capurrosche Trilemma *
          Der Turm von Babel *
          Suche nach der konkreten Allgemeinheit *
          Die emergentistische Lösung *
Das Phasenmodell *
Weitere Fragen *
          Informations-/Selbstorganisationstheorie und Dialektik *
          Informations-/Selbstorganisationstheorie und Gesellschaftstheorie *
          Verhältnis von Ontologie und Epistemologie *
Literatur *

Der Informationsbegriff

Information wird schon im ersten Text der beiden Autoren Peter Fleissner und Wolfgang Hofkirchner (1995) ent-dinglicht. Sie ist nicht das, was z.B. als Signal bewegt wird, sondern ist selbst ein Prozess, der sich von anderen Prozessen dadurch unterscheidet, dass in ihm etwas Neues entsteht. Es geht um die "Setzung von Unterschieden der Qualität nach" (Fleissner, Hofkirchner 1995). Das entspricht auch weitgehend dem Verständnis des In-formierens in der Antike und dem Mittelalter:

In-formieren kennzeichnete einen Prozeß, als dessen Resultat etwas Neues entstand. (ebd)

Dabei wird vorausgesetzt, das Neues nicht streng deterministisch aus Altem folgt und das Neue durch die Eigenaktivität des Systems selbst entsteht. Auf diese Weise kommen wir zu einer Verbindung des Informationsbegriffs mit jenem der Selbstorganisation. Information ist dann zu verstehen als "das selbstorganisierte Sich-in-Form-bringen gleich welchen Systems" (ebd):

Information ist etwas, was mit der Selbstorganisation ins Spiel kommt. Wo der deterministische Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung aufgebrochen wird, wo die Eigenaktivität eines Systems dazwischengeschaltet wird und die Ursache nur mehr zum Auslöser von Prozessen im System wird, die eine Wirkung hervorbringen, wo das System eine Wahl trifft, wenn es Mögliches zu Wirklichem macht, eine Wahl, die irreduzibel ist , dort ist Information im Entstehen.(ebd.)

Das capurrosche Trilemma

Solche sich selbst organisierenden Prozesse, also die Entstehung von Neuem und Information gibt es in allen Bereichen der Welt. Rafael Capurro stellte nun die Frage, wie sich die Informationstypen in den verschiedenen Bereichen zueinander verhalten (nach Fleissner, Hofkirchner 1995). Für ihn gab es drei Möglichkeiten (von Fleissner und Hofkirchner als "das capurrosche Trilemma" bezeichnet): Informationen seien in den verschiedenen Bereichen

  • entweder genau dasselbe (univocity),
  • oder nur etwas ähnliches (analogy),
  • oder jeweils etwas ganz anderes (equivocity).

Im Fall der Identität würden die qualitativen Unterschiede z.B. zwischen der Physik und der Gesellschaft verloren gehen (Reduktionismus). Für Analogien müsste einer der Informationsbegriffe der Vergleichsmassstab für die anderen sein (Projektionismus). Im Fall der Äquivokheit würde die Vergleichbarkeit der Bezeichneten verloren gehen – wir landen beim Turmbau von Babel, bzw bei Dualismus/Dichotomismus.

Der Turm von Babel

Capurro tendiert zur letzteren Interpretation:

Ich neige zu einer netzwerkartigen Lösung des Trilemmas, die dem nahesteht, was Wittgenstein "Sprachspiele" nennt [...]. Ich stimme mit Janich überein, daß Begriffe nach ihren jeweiligen Gebrauchskontexte definiert werden können und, wenn es sich um wissenschaftliche Fachtermini handelt, auch sollten. [...]

Der Übergang vom Paradigma der Linearität zu dem des Hypertextes bietet aber einen Ausweg aus dem Trilemma, der weder eine Reduktion noch einen Ausschluß impliziert. (Capurro 1999, III. Kapitel)

Suche nach der konkreten Allgemeinheit

Fleissner und Hofkirchner dagegen suchen nach einem Informationsbegriff, der "sowohl einen Inhalt besitzt, den alle Einzelwissenschaften gemeinsam haben und der sich in ihnen wiederholt, als auch einen einmaligen Inhalt, einen, der für die jeweilige Disziplin einzigartig ist, sodaß die verschiedenen Begriffe vergleichbar wie unterscheidbar sind, weil und indem sie Gleiches wie den Unterschied beinhalten" (Fleissner, Hofkirchner 1995).

Dieser einheitliche Informationsbegriff soll Allgemeines und Einzelnes miteinander vermitteln, "das Allgemeine als die gesetzmäßigen, notwendigen Bestimmungen jeglichen Informationsgeschehens und das Einzelne als diejenigen Bestimmungen, die bei der konkreten Erscheinungsform hinzutreten und die unverwechselbaren Eigentümlichkeiten des je nach Gegenstandsbereich besonderen Informationsgeschehens ausmachen, wobei Allgemeines und Einzelnes mit der Betrachtungsebene variieren" (ebd.).

Die emergentistische Lösung

Eine angemessene Verbindung zwischen Altem und Neuem sowie von verschiedenen Bereichen der Welt, die nacheinander auseinander entstanden sind, die ihre evolutionistische Einheit und ihre entstandene Unterschiedlichkeit gemeinsam erfassen kann, sieht Hofkirchner im Emergentismus. Hier wird Information als Entwicklungsphänomen auf den Begriff gebracht (Hofkirchner 1998b):

Der Emergentismus hingegen erklärt das Alte und die Teile zur notwendigen Voraussetzung des Neuen und des Ganzen, ohne sie hinreichen zu lassen. Er läßt das Neue mehr sein als das Alte und das Ganze mehr als seine Teile, ohne das Hervorgehen aus dem Alten und das Zusammenwirken der Teile zu negieren. Der Emergentismus reduziert weder Neues auf Altes oder das Ganze auf seine Teile, noch reißt es die Qualitäten verschiedener Entwicklungsphasen und Schichten auseinander. Dem Reduktionismus pflichtet er bei, wo er die höhere Qualität in der niedrigeren angelegt sieht, und dem Holismus gibt er recht, wenn dieser die eigenständige Qualität der höheren Stufe betont. Den Qualitätssprung sieht er nämlich als kontinuierlich und diskontinuierlich zugleich. Angelegt ist er auf der jeweiligen Stufe der Möglichkeit nach, aber solange er nur angelegt ist, ist er eben noch nicht verwirklichte Möglichkeit. Eigenständig ist er, sobald er diese Möglichkeit zur Wirklichkeit gemacht hat und dabei die Wirklichkeit der Stufe, aus der er hervorgegangen ist, in sich aufgehoben hat (Hofkirchner 1998b)

Selbstorganisation wählt unter den verschiedenen Optionen möglicher Entwicklungspfade, setzt damit material Unterscheidungen und läßt informell Muster entstehen. Selbstorganisation erweist sich damit als Generator von Informationen, d.h. Selbstorganisation steht am Ursprung der Information.

Das Stufenmodell

Konkret läßt sich der Zusammenhang von Evolutionärem und Systemischem in einem Stufenmodell darstellen. Die historisch nacheinander entstehenden unterschiedlichen Weltbereiche zeigen sich in der systemischen Struktur als Gliederung.

Als Stufenmodell widmet es sich längsschnitthaft der Emergenz neuer Qualitäten im Evolutionsprozeß, als Schichtenmodell bezieht es sich querschnitthaft auf die Dominanz von Ganzheiten im Ergebnis desselben Evolutionsprozesses. (Hofkirchner 1998b)

In diesem Stufenmodell zeigt sich auch ein spezifisches Verhältnis von Allgemeinem/Notwendigen und Besonderem/Zufälligem:

Das Allgemeine und Notwendige verkörpert die Gesamtheit des Möglichkeitsraums als die Basis der Realisation, das Besondere und Zufällige jedoch, das dem realisierten Überbau innewohnt, ist nicht vorwegnehmbar. (ebd.)

Durch die Konkretisierung der Information/Selbstorganisation in drei unterschiedenen (nicht getrennten, sondern evolutionär verbundenen) Bereichen - Physisch-Unbelebtes, Lebendes, Gesellschaftliches - ermöglicht das Stufenmodell einen Übergang vom abstrakt-Allgemeinen zu konkret-Allgemeinem.

Der Informationsbegriff wird so zurückgebunden an den Prozess, als dessen Resultat er entsteht (Fleissner, Hofkirchner 1995).

Stufenmodell der Selbstorganisation in den unterschiedlichen Bereichen (nach Hofkirchner 1998b):

Physisches:

SO als Ordnen

Biotisches:

SO als Verfügen über Repräsentanzen

Soziales:

SO als Wählen zwischen Alternativen

neben nicht selbst organisierenden Systemen auch:

physikalische und chemische (dissipative) Selbstorganisation:

  • Zuführung hochwertiger Energie wird zur Ordnungsbildung verwendet,
  • erzeugte Strukturen nicht vollständig durch Ursache-Wirkungs-Verhältnis beschreibbar)* (Reflexivität: spiegelt die Ursache in einer vom System gewählten Weise wider);
  • Strukturen können als Information verstanden werden (Muster.: syntaktisch: regelhaftig; semantisch: einem bestimmten Umweltsachverhalt zugeordnet; pragmatisch: Äußerung der Tätigkeit des Systems selbst).

zusätzlich:

  • Selbst-Reproduktion = Autopoiese: interagieren mit Umwelt so, dass sie Erlemente erzeugen, aus denen die Systeme bestehen.
  • erhalten Ordnung selbst aufrecht
  • Sensibilität: Sensorium kann für Überleben bedeutungsvolle Reize unterscheiden,
  • Repräsentation der Außenwelt vorhanden: Zeichen stellt durch eine gewisse Struktur die Funktion eines Umweltereignisses für die Aufrechterhaltung des Systems (Bedeutung) dar.
  • Anpassungsleistung durch Selbstrestrukturierung und Selbstreproduktion.
  • antizipatorische Fähigkeiten,
  • bewußte Wahl zwischen Handlungsalternativen
  • Umwelt wird an sich angepaßt, umgewandelt (alloplastisch), Finalität
    • "re-kreativ", d.h. sich selbst schaffend (Jantsch 1987, S.178)

(Abbildungen aus Hofkirchner 1998b)

enthält als spezielle Möglichkeit: Autopoiesis ®

enthält als spezielle Möglichkeit: Allopoiesis ®

 

)* Unterschied der Informationstheorie von Physik: Informationstheorie beschäftigt sich mit der Struktur des Nichtvoraussagbaren; Kausalität gilt als Vermittlung zwischen Ursache und Wirkung ohne Erhaltungsgesetze wie in der Physik (Fleissner in Capurro, Fleissner, Hofkirchner 1997).

Mit diesem Konzept soll eine einheitliche Informationstheorie, bei der Information konkret-allgemein auf den Begriff gebracht ist (Hofkirchner 1998b), begründet werden, sowie die Selbstorganisations- und die Informationstheorie miteinander verbunden werden.

Weitere Fragen

Informations-/Selbstorganisationstheorie und Dialektik

Der Versuch, von einer abstrakt-allgemeinen Bestimmung des Informationsbegriffes hin zu einer konkret-allgemeinen Bestimmung zu gelangen, zeigt eine große Verwandtschaft mit der Entwicklung des wesenslogischen Denkens zum begriffslogischen Denken in der Hegelschen Dialektik (vgl. Hegel WdL I, S. 17, Enz. III, S. 290, vgl. auch Schlemm 2002).

Gerade die Differenz zwischen Capurro und Fleissner/Hofkirchner läßt sich so verstehen, dass Capurro im abstrakt-allgemeinen "Sprachspiel" verharren möchte, während Fleissner und Hofkirchner auf konkretere inhaltliche Bestimmungen, deren Zusammenhang sich in der Evolution begreifen läßt, drängen. Capurro ist eher der postmodernen Mode zugeneigt, die Differenzen als Differenzen stehen läßt und sie nur als hypertextartiges Netzwerk aneinander kettet ohne übergreifende Einheiten zu suchen oder zu akzeptieren. Es geht ihm nicht um das Begreifen konkreter Qualitäten in ihrer Eigenart und ihrem die Netzwerke aufbauenden Verhalten – sondern die von ihm bevorzugte Perspektivenvielfalt "spielt mit Äquivokheit, Analogie und Univokheit" (Capurro in Capurro, Fleissner, Hofkirchner 1997). Damit wiederholt sich bei ihm die frühere systemtheoretische Mode der abstrakten Beliebigkeit gegen das Begreifen konkreter Verhaltensweisen von inhaltlich konkret bestimmbaren Gegenstände, während Fleissner und Hofkirchner die Konkretisierung auf unterschiedliche Bereiche der Welt so weit führen, wie es für die Begriffe Information und Selbstorganisation überhaupt möglich ist, bevor die weitere Konkretisierung der jeweiligen Fachbegriffe aus den Einzelwissenschaften verlangt.

An einem wichtigen Punkt wird eine neue Fragestellung an die Dialektik herangetragen. Das betrifft die Art des Determinismus, mit der der jeweilige konkrete Fortgang der Entwicklung bedingt und bestimmt ist. Das Selbstorganisationskonzept orientiert nicht nur auf die Zurückführung auf Notwendiges (z.B. auf die jeweils mit Notwendigkeit wirkenden realisierten Bedingungsgesamtheiten in der Vergangenheit, die den Fortgang jeweils bestimmten), sondern auf die Offenheit in der auf die Zukunft gerichteten Bewegung (vgl. auch Schlemm 1996, S. 209ff).

Diese Theorie bricht die kurzgeschlossenen Ursache-Wirkungsverhältnisse durch das Dazwischentreten von spontaner Eigenaktivität selbständiger Entitäten auf, deren Verhalten nicht restlos auf äußere Ursachen und innere Mechanismen zurückgeführt werden kann, weil objektiv Wahlmöglichkeiten und "Entscheidungsfreiheiten" existieren, die alle gleichermaßen, wenn auch vielleicht mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit, verwirklicht werden könnten, von denen aber schließlich nur eine wahrgenommen werden kann. (Hofkirchner 1998b)

Trotzdem ist das auf dem Stufenmodell beruhende Konzept von Selbstorganisation selbst nicht vollständig dialektisch. Bezogen auf jede Einzelwissenschaft bleiben Information und Selbstorganisation abstrakte Begriffe. Nichts ist falsch an der folgenden Darlegung:

Die – dialektisch verstandene – Grundfigur der Selbstorganisation kann wie folgt vorgestellt werden: Gegeben seien Entitäten auf zwei hierarchisch übereinander geordneten Ebenen, sprich: einer Mikro- und einer Makroebene, wie Elemente eines Systems und das System selber. Zwischen diesen Entitäten besteht eine wechselseitige Abhängigkeit in der Weise, daß das Verhalten der Entitäten auf der Mikroebene mindestens eine Eigenschaft der Entität auf der Makroebene hervorgehen läßt, die den Entitäten auf der Mikroebene nicht zukommt, und daß umgekehrt genau diese Eigenschaft das Verhalten der Entitäten auf der Mikroebene prägt. Das Hervorbringen der Makroeigenschaft durch die Mikroentitäten heißt Emergenz, die Prägung der Mikroentitäten durch die Makroeigenschaft nenne ich im Anschluß an Holzkamp (1983) Dominanz (in der Literatur üblich: Makrodetermination, englisch – nach Popper – "downward causation"). Bei beiden Relationen handelt es sich um Ursache-Wirkungs-Beziehungen, allerdings bei beiden um keine mechanistisch verstandenen vollständig determinierten, so daß Raum bleibt für ein Entstehen von Neuem und eine Entwicklung des Ganzen, die nach vorne offen sind für Diskontinuitäten, obwohl sie an das Kontinuum des zurückgelegten Weges gebunden bleiben. Nicht nur die Emergenz bedeutet das Triggern, das Evozieren, von vorher nicht Dagewesenem, sondern auch die Dominanz kennzeichnet ein Verhältnis, in dem die Wirkung nicht vollständig auf die Ursache zurückgeführt werden kann; sie charakterisiert mit der durch sie bewirkten Einschränkung des Möglichkeitsraums verglichen mit den abstrakten Möglichkeiten, die ohne sie offenstünden, zugleich die Ermöglichung verschiedener konkreter Realisierungen, die ohne sie nicht gegeben wäre. (Hofkirchner 1998c)

Selbstorganisation (nach Fuchs, Hofkirchner 2003, S. 94)

Allerdings erfaßt sie genau nicht die jeweilige Spezifik im physikalischen, biotischen oder gesellschaftlichen Bereich. Nur anhand der sich entwickelnden Sache selbst kann jeweils konkret gezeigt werden, welche Momente einander enthalten und gleichzeitig im Widerspruch gegeneinander stehen und welches Moment das übergreifende, dominierende ist. Für die Gesellschaft sind beispielsweise nicht unbedingt die einzelnen Menschen als Momente, die Gesellschaft als das Ganze zu betrachten, sondern eine dem jeweils konkret-historischen Entwicklungsstand der Gesellschaft angemessene Gesellschaftstheorie erkennt verschiedene Sphären des Gesellschaftlichen oder Momente der Reproduktion als jene wesentlichen Momente, aus denen heraus ihre wesentlichen Verhältnisse, Widersprüche und ihre Entwicklungstendenz zu begreifen ist. Es wird wiederum nur die Form, nicht der spezifische Inhalt der Entwicklung erfasst. Möglichkeiten und Wirklichkeiten sind nur formell, nicht konkret-real aufweisbar. Auf diese Weise ist der Vorzug der vereinheitlichten Sichtweise auch die Begrenzung ihrer Reichweite.

Informations-/Selbstorganisationstheorie und Gesellschaftstheorie

Das Stufenmodell der Information/Selbstorganisation erfaßt auch das Soziale. Die Elemente sind dann nach Hofkirchner (2002a) die einzelnen sozialen Akteure, das Ganze zeigt sich als soziale Strukturen, die aus den Interaktionen der Akteure emergieren. Diese Sicht ist nun allerdings so allgemein, dass sie auch das Sozialverhalten der Tiere mit erfaßt. Die Spezifik des Menschlichen, wie sie im Stufenmodell in der dritten Spalte aufgeführt wurde, ist damit noch nicht ausreichend begründet. Den einzelnen Tieren in der sozialen Einheit wie auch den Menschen stehen soziale Strukturen gegenüber. Woher kommt die spezifische menschliche Fähigkeit, zwischen Alternativen auszuwählen? Woher die zusätzliche Fähigkeit, sogar neue Alternativen schaffen, d.h. die eigene Umwelt bewußt gestalten zu können?

Hier muß die Spezifik des menschlichen Handelns gegenüber tierischen Tätigkeiten noch genauer konkretisiert werden – es muss konkrete Gesellschaftstheorie durchgeführt werden. Dabei werden die Begriffe Gesellschaftsformation (Tjaden 1977), Produktivkräfte, Produktionsverhältnisse und Produktionsmittel unabdingbar. Die konkret-historische Totalität erweist sich als wesentlich bestimmt durch die in ihr dominierenden Produktionsmittel, deren Entwicklung das Kontinuierliche gegenüber allen verschieden möglichen subjektiven Zwecksetzungen bedingt. Für jede der durch ihre spezifische Art zu produzieren zu unterscheidenden Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung ist eine weitere Konkretisierung notwendig.

Diese darf außerdem nicht nur auf informelle Prozesse, im Sinne von Kommunikation und wechselwirkenden Austausch bezogen sein, sondern die jeweils spezifische Produktionsweise des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses in den Mittelpunkt der Analyse stellen. Die zunehmende Rolle der Information im derzeit aktuellen gesellschaftlichen Reproduktionsprozess muß dabei thematisiert werden, darf aber nicht aus dem Zusammenhang der gesellschaftlichen Reproduktion als Ganzes gerissen werden.

Verhältnis von Ontologie und Epistemologie

Im Email-Trialog (Capurro, Fleissner, Hofkirchner 1997) stellte sich die Frage, ob die Unterscheidung der materiellen von der informationellen Kausalität (nach Fleissner) eine ist, die eine reale Basis hat, oder ob sie nur im Denken erfolgt. Hofkirchner erläutert seinen Standpunkt dazu:

Aus meiner Sicht sind diese beiden Aspekte nicht unabhängig voneinander. Wir verwenden die Methode der Unterscheidung, weil wir annehmen, dass es in der Realität diese beiden Formen der Kausalität gibt.

Das löst aber das Problem noch nicht. Jede Darstellung unseres Wissens von der Welt muß das Selbstverständnis beinhalten, dass wir über unser Wissen von der Welt reden, nicht von der Welt "an sich". Und unser Wissen über die Welt ist nicht nur eine einfache Abspiegelung. Die Fragestellung nach dem Verhältnis von Ontologie und Epistemologie für die Allgemeintheorien (Querschnittstheorien) ist noch nicht einmal ansatzweise adäquat gestellt worden.

Hofkirchner betont an anderer Stelle eine grundlegende Differenz zwischen "mechanistischen" naturwissenschaftlichen Weltbildern und der Selbstorganisation:

Der weltbildsprengende Charakter der Forschungen zur Selbstorganisation wird allerdings verkannt, wenn versucht wird, die Erscheinungen der Selbstorganisation nach wie vor auf dem Hintergrund des überholten mechanistischen technisch-naturwissenschaftlichen Weltbilds zu interpretieren (Hofkirchner 2002b, vgl. auch Hofkirchner 1998a)

Der Mechanizismus versucht auf naturalistische Art, alles dem engen Kanon der sogenannten exakten Wissenschaften zu unterwerfen, für die die mathematisierten Naturwissenschaften Pate stehen. (ebd.)

Dazu sind aus erkenntnistheoretischer Sicht mehrere Korrekturen notwendig:

1. Wir müssen grundsätzlich unterscheiden zwischen Naturwissenschaft und Weltbild (das sich auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse stützen kann, aber nicht mit Naturwissenschaft identisch ist).

2. Es ist ein doppeltes Mißverständnis, die Klassische Mechanik nach Newton als mechanizistisch aufzufassen, denn 2.1. ist sie als Naturwissenschaft nicht selbst schon ein Weltbild (siehe 1.) und 2.2. unterscheidet sich Newtons Wissenschaftskonzept ausdrücklich von einer Vorstellung, die in bewegten Körpern die Wirkung von verursachenden Kräften sieht (zur ausführlichen Charakterisierung der Newtonschen Mechanik und der Mechanisierung des Weltbildies siehe bspw. Borzeszkowski, Wahsner 1980).

3. Die allgemeinwissenschaftliche Fundierung (soweit im Sinne 1. die Wissenschaft gemeint ist) der Selbstorganisationskonzepte beruht nach wie vor auf der Art und Weise der Größenbildung und des spezifischen Umgangs mit Experiment und Mathematisierung auf der Methodik der anerkannten Naturwissenschaften. Hierzu soll jetzt nicht ausführlich diskutiert werden, weil diese Spezifik explizit diskutiert werden muß und hierfür letztlich nur die Arbeiten von Borzeszkowski und Wahsner, die recht unbekannt sind, eine ausreichende Grundlage bieten. Explizit nachgewiesen wurde von ihnen beispielsweise, dass schon der Übergang von der Klassischen Mechanik zur Thermodynamik unter Zurhilfenahme zusätzlicher Annahmen möglich ist (was schon von Boltzmann nachgewiesen wurde) und die Irreversibilität letztlich lediglich eine Erweiterung des Annahmenpakets ist, aber nicht grundlegend den Charakter physikalischer (speziell thermodynamischer) Aussagen und Methoden verändert (siehe dazu auch Schlemm 2003).



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