Wissenschaft als allgemeine Arbeit

1. Allgemeine Arbeit
1.1 Tätigkeit und Arbeit
1.1.1 Tätigkeit
1.1.2 Arbeit
       Arbeit im Kapitalismus und danach
       Kapitalistisch produktive und kapitalistisch unproduktive Arbeit
       Work statt labour
1.2 Allgemeine Arbeit
Abstrakte und konkrete Allgemeinheit in der Gesellschaft

2. Wissenschaft
2.1 Wissenschaft als Tätigkeit
       Erkennen und Werten
       Wissenschaft und gesellschaftliche Praxis
2.2 Wissenschaft und Arbeit
Wissenschaft als produktive oder unproduktive Arbeit?
2.3 Wissenschaft als allgemeine Arbeit

3 Schlussfolgerungen zur Wissenschaft für eine Freie Gesellschaft und in der Freien Gesellschaft
3.1 Arbeit als Selbstbetätigung
3.2 Wissenschaft in der Freien Gesellschaft
       Neuer Typ von Arbeit und Wissenschaft

Literatur

 

Ausgehend von Anstößen durch die Lektüre  einer schon recht alten Arbeit von Hubert Laitko (Laitko 1979) möchte ich zwei Fragestellungen genauer diskutieren:

1. Wie kann Arbeit positiv bestimmt werden und in welcher Weise kann Arbeit in einer nachkapitalistischen Gesellschaft die konkrete Einheit von Individuum und Gesellschaft auf nicht entfremdete Weise konstituieren?

2. Warum ist Wissenschaft und welche Art Wissenschaft ist notwendig in einer solch nicht entfremdeten Gesellschaftsform?

1. Allgemeine Arbeit

1.1 Tätigkeit und Arbeit

1.1.1 Tätigkeit

Arbeit bestimmt sich zunächst einmal als besondere Form von Tätigkeit. Deshalb ist zuerst zu klären, was unter Tätigkeit zu verstehen ist. Im sozialen Kontext geht es dabei um „ein Ensemble zweckmäßig ausgeführter, zumeist in der Zeit sich erstreckender Handlungssequenzen von Individuen oder Gruppen zur Erreichung eines bestimmten Zieles“ (Métraux 1999: 1588).

Leontjew betont, dass im menschlichen tätigen Verhalten die Unmittelbarkeit des zweigliedrigen Schemas „Einwirkung auf die rezipierenden Systeme des Subjekts ® entstehende Antworterscheinungen“ aufgebrochen wird (Leontjew 1987: 77ff.).[1] Wodurch geschieht dies? Laitko erwähnt zuerst, dass sich die menschliche Tätigkeit gegenüber tierischen Aktivitäten[2] dadurch auszeichnet, dass sie bewusst durchgeführt wird, d.h. in einem bewussten Verhältnis gegenüber der Umwelt. Marx beschrieb dies: „Wo ein Verhältnis existiert, da existiert es für mich, das Tier <verhält> sich zu Nichts und überhaupt nicht. Für das Tier existiert sein Verhältnis zu andern nicht als Verhältnis.“ (Marx, Engels DI: 30)[3] Wir halten also als erstes Charakteristikum menschlicher Handlungen die Bewusstheit fest. Diese Bewusstheit verbleibt aber nicht in der ideellen Sphäre, sie bezieht sich auch nicht nur auf symbolische oder sprachliche Bedeutungen als kulturelle, sondern es ist unabdingbar, die Gegenständlichkeit der Tätigkeit des Menschen zu berücksichtigen. Bewusstheit und Gegenständlichkeit deuten auf den gesellschaftlichen Charakter hin. Gesellschaftlichkeit wird dabei explizit nicht als äußere Umwelt des Individuums verstanden, sondern die Subjektivität jedes Individuums besitzt selbst ein gesellschaftliches Wesen (Laitko 1979: 61, Leontjew 1987: 85). Die gegenständliche Tätigkeit als Zentralbegriff vermittelt nun eher ein dreigliedriges Schema. Tätigkeit[4] wird nun zum „Prozeß, in dem die wechselseitigen Übergänge zwischen den Polen „Subjekt – Objekt“ verwirklicht werden“ (ebd.: 83). Subjekte sind dabei die aktiven Handlungsträger, deren Aktivität sich jeweils auf das als Objekt betrachtete Andere bezieht.

Elemente dieses Prozesses sind Subjekt, Objekt, Mittel und Resultat der Tätigkeit. Der Tätigkeitsprozess ist dann als Funktionszusammenhang zu verstehen, „der durch die Aktivität des Subjekts wirkt, in seinem Inhalt aber entscheidend vom Objekt und von den verfügbaren Mitteln her bestimmt ist“ (Laitko 1979: 62).

1.1.2 Arbeit

Nicht jede menschliche Tätigkeit wird als Arbeit gekennzeichnet (z.B. fällt das Spiel nicht darunter). Arbeit ist ein speziellerer Begriff. Während in der Tätigkeit die vom Subjekt ausgehende Wechselwirkungskomponente betont wird, so vermittelt die Arbeit die gesamte Wechselwirkung. Außerdem bezieht Arbeit auch die vergegenständlichte Arbeit ein, nicht nur den Tätigkeitsaspekt in der lebendigen Arbeit. Dadurch ermöglicht der Begriff der Arbeit ein Erfassen historischer Zusammenhänge über die Rolle von vergegenständlichter Arbeit als Arbeitsmittel. „Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen“ (Marx KapI: 194-195).

 

Tätigkeit

Arbeit

erfasst primär die vom Subjekt ausgehende Wechselwirkungskomponente

betrachtet die gesamte Wechselwirkung als konkrete Einheit (deren Momente nur analytisch trennbar sind, bzw. historisch im Kapitalismus getrennt wurden).

Tätigkeit bezogen auf lebendige Arbeit

prozessuale Einheit von lebendiger und vergegenständlichter Arbeit

erschöpft sich im erfüllten Zweck

® übergreifend-historischer Ansatz (über Vergegenständlichungen als Voraussetzung weiterer Entwicklungsschritte);

gleichzeitig nur je konkret-historisch zu bestimmen

 

Von Marx wurde Arbeit bestimmt als „Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert“ (Marx KapI: 192). Allerdings ist diese Kennzeichnung noch nicht die vollständige Bestimmung, denn Marx betrachtet sie nur „zunächst“[5] (ebd.) als einen solchen Stoffwechselprozess. Wichtig ist für Marx hier die ideelle Vorwegnahme des Arbeitsergebnisses (beispielsweise im Unterschied zum Wabenbau der Bienen). Bis hierhin hat Marx also die Arbeit „zunächst“ nur als Form einer Tätigkeit, wie oben bestimmt, eingeordnet. Indem Marx dann übergeht zur Diskussion der Rolle der Arbeitsmittel über und damit zu bestimmten Tätigkeiten als Arbeit (ohne diesen Übergang explizit zu kennzeichnen).

Die Betonung der Bewusstheit, der geistigen Vorwegnahme des Ziels der Arbeit, die „teleologische Setzung“ , wurde von Georg Lukácz als das Wesentliche der Arbeit interpretiert. Dem widersprechen Peter Ruben und Camilla Warnke, indem sie darauf aufmerksam machen, dass diese Sichtweise eine Trennung von Arbeitssubjekt und Arbeitsobjekt unterstellt. Die wirkliche Arbeit jedoch beruht auf der ungetrennten Einheit ihrer gegenständlichen Glieder. Das Wesen der Arbeit (d.h. auch ihren Unterschied zum Verhalten anderer Lebewesen) sehen sie darin, „dass sie werkzeugvermittelte Gattungstätigkeit ist“ (Ruben, Warnke 1979: 22).[6]

Arbeit ist also nicht nur eine Äußerung des Subjekts, die auf etwas ihr Äußeres (Objekte) gerichtet ist, sondern selbst die konkrete Einheit von Arbeitskraft-Arbeitsmittel-Arbeitsgegenstand, also von menschlichen und nichtmenschlichen natürlichen Faktoren. Konkrete Arbeit ist auch immer wirkliche, sich gerade realisierende. Außerhalb des direkten, wirklichen Vollzugs der Arbeit ist auch eine analytische Betrachtung möglich, bei der die Momente der Arbeit getrennt gedacht werden.

Arbeit im Kapitalismus und danach

Unter bestimmten konkret-historischen Verhältnissen, im Kapitalismus, ist jedoch eine Trennung von menschlicher Arbeitskraft und gegenständlichen Arbeitsvoraussetzungen entstanden. Auf diese Weise entsteht die Abstraktion real. Zwar wird immer noch konkret gearbeitet, aber diese konkrete Arbeit unterliegt den für sie tatsächlich äußeren Zwecken der abstrakten Arbeit (es wird nur noch gearbeitet, um „Geld zu machen“, solange dabei auch Gebrauchswerte erzeugt werden müssen, geschieht das auch, deren Nützlichkeit ist aber nicht der wirkliche Zweck der Arbeit).

Es wird heute oft diskutiert, nur diese Form der abstrakten Arbeit als „Arbeit“ zu bezeichnen. Dies liegt nahe, wenn angenommen wird, Begriffsbestimmungen könnten keine innerlich widersprüchliche Einheiten erfassen, sondern lediglich in analytischer Weise auf eine hohe abstrakte Allgemeinheit orientieren. Nach Postone kann der abstrakte Begriff „Arbeit“ nur für die Gesellschaftsordnung Kapitalismus gebildet werden. Sie ist nur für diese Gesellschaftsordnung als abstrakter Begriff bildbar, als „historisch spezifische, quasi-objektive Form gesellschaftlicher Vermittlung“ (Postone 2003: 24). Nur im Kapitalismus werden die „grundlegenden gesellschaftlichen Beziehungen durch Arbeit konstituiert“ (ebd.: 26).  Von Postone wird auch in Frage gestellt, „daß Arbeit die gesellschaftliche Welt konstituiert und Quelle allen Reichtums ist“ (ebd.: 23). Die stimmt natürlich für den von ihm vorausgesetzten nur abstrakten Begriff!

Fraglich ist dann allerdings, was außer dem, was Marxisten bisher „Arbeit“ genannt haben, denn dann „die gesellschaftliche Welt konstituiert und Quelle allen Reichtums ist“? Wenn dies dann „Tätigkeit“ oder „Praxis“ genannt wird, geht der Unterschied beispielsweise zum Spiel verloren. Oder ist es überhaupt keine spezifische Tätigkeit, die das Gesellschaftliche konstituiert, sondern das Spiel gleichberechtigt neben allen anderen? Sollte dies der Sinn der Zurückdrängung des Arbeitsbegriffs sein? Vielleicht erreicht die Menschheit endlich die Phase, in der die eigene Reproduktion nicht mehr das Leben beherrscht, sondern in einer „nachökonomischen Gesellschaftsformation“ (Schlemm 1999a: 73ff.) befreit ist von der ständigen Sorge um das Notwendige? E. Braun beispielsweise erhofft sich eine „von Selbsterhaltung befreite Praxis“ (Braun 1985: 37) als erst wirklich menschliche.

Hier geht es um die alte Frage, ob wir uns eine Befreiung von der Arbeit oder eine Befreiung in der Arbeit wünschen. [7] Von Marx gibt es für beide Versionen Zitierungen.[8] Zu bedenken ist, dass

-          notwendige Reproduktion allein aufgrund unserer physischen Natur immer erfolgen muss, auch wenn wir uns wünschen, dass diese nicht mehr unser Leben beherrscht und

-          die gegen Widerstände ausgeübten Tätigkeiten auch ihr eigenes, für uns notwendiges Freiheitspotential haben. Marx erwähnt z.B., dass „Überwindung von Hindernissen an sich Bestätigung der Freiheit“ (Marx Gr: 512) sein kann.

Kapitalistisch produktive und kapitalistisch unproduktive Arbeit

Die Ausführungen von Marx zur Arbeit betreffen vorwiegend die Arbeit im Kapitalismus. Die Bestimmung des materiell-produktiven Charakters der Arbeit kann noch allgemein für alle Gesellschaftsordnungen gelten. „Produktivität“ meint hier den Einsatz der Produktivkraft, um die „Natur  praktisch menschlichen Zwecken“ anzueignen (vgl. Laitko 1979: 127). Steigerung der Produktivkraft: meint im positiven Sinn: „wenn die Gesellschaft in ihrem Stoffwechsel mit der Natur mehr an Arbeitsfähigkeit zurückerhält, als sie in der Produktion verausgabt hat“ (Ruben, Warnke 1979: 29).

Insoweit bei dieser Arbeit nützliche Produkte (mit Gebrauchswert) entstehen, nennt Marx diese Arbeit „nützliche Arbeit“ (Marx KapI: 56).  Die Kapazität solcher Arbeit wird als „Produktivkraft“ beschrieben, und sie „bestimmt in der Tat nur den Wirkungsgrad zweckmäßiger produktiver Tätigkeit in gegebenem Zeitraum“ (ebd: 60).

Im Kapitalismus ist die Produktivität noch spezifischer zu fassen. Hier wird produktive Arbeit[9] bestimmt als „Arbeit, die Mehrwert produziert“ (Marx TMW1: 115), als „Lohnarbeit, die im Austausch gegen den variablen Teil des Kapitals (den in Salair ausgelegten Teil des Kapitals)[10] nicht nur diesen Teil des Kapitals reproduziert (oder den Wert ihres eignen Arbeitsvermögens), sondern außerdem Mehrwert für den Kapitalisten produziert. [...] Nur die Lohnarbeit ist produktiv, die Kapital produziert.“ (ebd.: 122).[11]

 

Produktive Arbeit im Kapitalismus

Unproduktive Arbeit im Kapitalismus

Arbeit verwandelt sich in Mehrwert, Kapital

(Köche, Kellner in Hotels sind produktiv für Hotelbesitzer, unproduktiv für mich Konsumenten) (Marx TMW1: 122); auch Schauspieler und Clown im Dienst eines Kapitalisten (ebd.: 120)

wird unter das Kapital subsumiert (ebd.: 130);

nur wenn gegen Kapital werdendes Geld ausgetauscht wird, nicht gegen Geld an sich (ebd.: 366).

Arbeit wird direkt gegen Revenue (Ausgabe für individuelle Konsumtion, keine Vermehrung des Kapitals, sondern Verminderung des Geldes, vgl. ebd.: 366) ausgetauscht

(persönliche Dienste, z.B. Flickschneider für private Hose des Kapitalisten; Sachwerte ohne Tausch), produziert keine Ware, erhält aber welche (ebd.: 123)

 

Die Frage der Produktivität hat nichts mit der stofflichen Eigenschaft (materiell/immateriell)[12] oder dem Nutzen (Gebrauchswert) des Produkts zu tun, sondern bezieht sich auf „ein bestimmtes gesellschaftliches Produktionsverhältnis“ (ebd.: 121; vgl. auch 360).[13] Der Produzent einer Dienstleistung ist produktiv, wenn er damit Mehrwert für einen Kapitalisten schafft, und unproduktiv, wenn er seine Dienstleistung direkt an eine Privatperson erbringt, die mit ihren Einkünften dafür bezahlt (vgl. Beispiel des Klavierbauers ebd.: 123).

In diesem Sinne nicht produktive Arbeiten können jedoch gesellschaftlich durchaus notwendig sein, so zur Reproduktion des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens (Lehrer, Ärzte) und zur Erhaltung der gesellschaftlichen Form der produktiven Arbeit, z.B. im Überbaubereich (vgl. Laitko 1979: 129f.)

Work statt labour

Marx sieht die nützliche Arbeit als Grundlage jeder Gesellschaftsform: „Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit [...] eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln“ (Marx KapI: 57).

Marx identifiziert hier seine „zunächst“-Definition von Arbeit mit dem „menschlichen Leben“ selbst – verwendet aber weiterhin auch den Begriff des „Gebrauchswertes“. Die Frage ist, ob es überhaupt Sinn macht, von Gebrauchswert zu sprechen, wenn die Gesellschaft und die Produktion nicht mehr unter dem Primat von Wertverhältnissen konstituiert sind.

Das setzt erstens die Frage, ob es überhaupt noch Sinn macht, in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft von Wert zu sprechen. Marx definiert den Wert als „menschliche Arbeit schlechthin“, als „Verausgabung menschlicher Arbeit überhaupt“ (ebd: 59). In diesem Sinn bliebe Wert in allen Gesellschaftsformen erhalten.

Marx erwähnt auch  die produktive Arbeit in einer Gesellschaft ohne Kapital unter Verwendung des Wertbegriffs:

„Aber gesetzt, es existiere kein Kapital, sondern der Arbeiter eignete sich selbst seine Surplusarbeit an, den Überschuß der Werte, die er geschaffen, über den Überschuß der Werte, die er konsumiert. So wäre nur von dieser Arbeit zu sagen, daß sie wahrhaft produktiv ist, das heißt neue Werte schafft.“ (Marx TMW1: 116). Er vermeidet hier den Begriff „Mehrwert“, verwendet aber weiter den „Wert“. Wert ist hier bezogen „auf Arbeitszeit, gesellschaftliche, qualitätslose Arbeit“ (ebd.: 117).  Diese Betrachtungsweise ist – außerhalb des Kapitalismus – dadurch motiviert, dass nach Marxens Meinung jede Gesellschaft auf die „Ökonomie der Zeit“ achten muss, was eine gewisse abstrakte Vergleichbarkeit von Aufwand und Nutzen weiterhin erforderlich macht. Bei aller heute unter den Linken üblichen Ablehnung des Begriffes „Wert“ wird es notwendig, die Fragestellung der Effektivität in einer nicht kapitalistischen Gesellschaft neu zu diskutieren und ggf. neue Denkformen dafür zu erarbeiten (oder die Überzeugung, dass Effektivität keine Rolle mehr spielt, zu begründen).

Wenn wir davon ausgehen, dass der „Wert“ als Begriff (und Realität) mit dem Kapitalismus verschwinden kann, sollten zweitens auch alle seine Momente verschwinden, nicht nur eins davon. Es macht wenig Sinn, wenn Tauschwert im kapitalistischen Sinne vergeht, der Gebrauchswert aber bleibt. Insofern wäre der Sprachgebrauch von Marx (im obigen Zitat) zu korrigieren und statt „Gebrauchswert“ eher von Nützlichkeit zu sprechen[14].

Für eine nichtkapitalistische Gesellschaft steht dann trotzdem die Frage, wie die Arbeit so organisiert werden kann, dass alle Bedürfnisse zur Geltung kommen, befriedigt werden und durch Surplusarbeit, die dann nicht mehr über durch das Kapital oder eine Parteiplanung erzwungen werden kann,[15] der Freiheitsraum der Menschen immer weiter erweitert werden kann.

1.2 Allgemeine Arbeit

Der Begriff der „allgemeinen Arbeit“ ist schon bei Hegel vorhanden: „Wie der Einzelne in seiner einzelnen Arbeit schon eine allgemeine Arbeit bewußtlos vollbringt, so vollbringt er auch wieder die allgemeine als seinen bewußten Gegenstand; das Ganze wird als Ganzes sein Werk, für das er sich aufopfert und eben dadurch sich selbst von ihm zurückerhält.“ (Hegel Phän: 265). Jede besondere Arbeit wird dann allgemein, wenn sie in die gesellschaftliche Gesamtarbeit eingeordnet ist. Allgemeine Arbeit ist Arbeit für andere. „Dadurch, daß ich mich nach dem anderen richten muß, kommt hier die Form der Allgemeinheit herein. Ich erwerbe von anderen die Mittel der Befriedigung und muß demnach ihre Meinung annehmen. Zugleich aber bin ich genötigt, Mittel für die Befriedigung anderer hervorzubringen.“ (Hegel PR: 349). Allgemeine Arbeit ist also jene „Arbeit, die mit ihrem Produkt notwendigerweise die Befriedigung der Bedürfnisse anderer dient und so ihr einzelnes Subjekt in den allgemeinen Zusammenhang der Gesellschaft einbezieht“ (Laitko 1979: 148).

Dieser Zusammenhang vermittelt sich nicht nur über wechselseitig ausgetauschte Tätigkeiten, sondern vor allem über Gegenständliches, das aufgrund seiner Konkretheit fundamentaler ist als bloßes Sagen, Vorstellen, Denken und Einbilden, „es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen“ (Marx, Engels DI: 26). Auf diese Weise kann sogar von allgemeiner Arbeit gesprochen werden, wenn dem Einzelnen dieser Zusammenhang nicht selbst bewusst ist. Nicht jede allgemeine Arbeit ist also bewusste, oder gar wissenschaftliche Arbeit.

Den Begriff „allgemeine Arbeit“ verwendet Marx dort, wo er die abstrakte Allgemeinheit der auf Warenproduktion vereinzelter Produzenten, die in Geld vergegenständlicht ist, der „von vornherein als Glied der allgemeinen Produktion“ gesetzten Arbeit entgegensetzt.[16]

Abstrakte und konkrete Allgemeinheit in der Gesellschaft

Entgegengesetzt werden hier zwei Ansichten:

a) Es erscheint so, als wäre der Tauschwert (Geld) lediglich der allseitige Vermittler innerhalb der wechselseitigen Abhängigkeit, in der voneinander isolierte Produzenten/Konsumenten in einer arbeitsteiligen Gesellschaft nur existieren können. Jeder Produzent leistet konkrete Arbeit, erzeugt ein konkretes Produkt. Das Allgemeine entsteht dann „auf dem Markt“ durch Vergleichung von quantitativen, abstrakten Momenten dieser Produkte (ihres Gehalts an Arbeitszeit). Dieses abstrakt-Allgemeine zeigt sich als sachliches Verhältnis außerhalb der Individuen selbst, die als isolierte vorausgesetzt werden. Die Einheit von Einzelnen (Produzenten) und Allgemeinem (allgemeiner Abhängigkeit voneinander in Arbeitsteilung) ist nur abstrakt, einander äußerlich. Die gesellschaftlichen Verhältnisse stehen als „Verhängnis“ (Marx Gr: 92) den Individuen gegenüber. Verdinglicht zeigt sich diese Abstraktheit durch das Geld.

b) Wenn nicht vorausgesetzt wird, dass die Individuen isoliert voneinander vorauszusetzen sind, sondern erkannt wird, „daß das Privatinteresse selbst schon ein gesellschaftlich bestimmtes Interesse ist“ (ebd.: 90), kann diese Form der Allgemeinheit auch als begrenzte verstanden werden. Die gesellschaftliche Allgemeinheit kann nicht – z.B. durch die Beschwörung kleiner Gruppen und bloßer Gemeinschaftlichkeit – abstrakt negiert werden. Ihre abstrakte Form kann aber aufgehoben werden durch die Form der konkreten Allgemeinheit. In der abstrakt-allgemeinen Form setzt sich die Gesellschaftlichkeit in Form einer „Sache“ über die Individuen (die diese Gesellschaft zwar historisch erzeugten, die jedoch als Individuen die einmal gesetzten Bedingungen zur ihrer eigenen Vereinzelung nicht einfach aufheben können). Gesellschaftliche Macht nimmt die Form einer Sache an (u.a. als Geld in der Tasche jedes Individuums) (Marx Gr.: 90f.). Die konkret-allgemeine Form der Gesellschaftlichkeit wird von Marx bezeichnet mit Umschreibungen wie: „Freie Individualität, gegründet auf die universelle Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität als ihres gesellschaftlichen Vermögens“ (ebd.: 91, siehe auch 3.1).

Eine Arbeit ist dann konkret-allgemein, wenn sie „ein in seiner Spezifik gesellschaftlich notwendiges Resultat“ (Laitko 1979: 163; kursiv v. A.S.) erzeugt.

Da letztlich jede wirkliche Gesellschaft konkret historisch existiert, und nicht als Abstraktion, ist auch der Kapitalismus nicht wirklich eine „abstrakt-allgemeine“ Gesellschaft.[17] In ihm haben sich Realabstraktionen als verdinglichte Sachen verselbständigt und diese beherrschen das Verhalten der Individuen, weil die Verhältnisse sie voneinander notwendig isolieren. Aber das Leben und auch die kapitalistische Produktion selbst ist und bleibt konkret. Diese Konkretheit muss allerdings ebenfalls ihre durch die Verhältnisse aufgezwungene Einzelheit (Gefühle des Einzelnen gegen gesellschaftliche Zwänge, vereinzelte Gruppengemeinschaftlichkeiten gegen die Gesellschaftlichkeit) aufgeben und zu gesellschaftlicher Allgemeinheit (neuen Typus, siehe 3.1) führen, um die gesamte Gesellschaft historisch in eine neue Form zu überführen.

Hegels Darstellung der Gesellschaft ist bereits davon gekennzeichnet, dass er konkret-allgemeine Charakterisierungen beschwört – allerdings interpretiert er diese als bereits in der kapitalistisch-bürgerlichen Welt gegeben.[18]


2. Wissenschaft

2.1 Wissenschaft als Tätigkeit

Es ist nicht selbstverständlich, als Wissenschaft nicht nur ihre Ergebnisform, ein System von Erkenntnissen, zu betrachten. Hier wird davon ausgegangen, dass die Form der „geronnenen Wissenschaft“ zu ihrer Begriffsbestimmung nicht ausreicht. Es ist unabdingbar, die wissenschaftliche Arbeitstätigkeit selbst zu untersuchen (vgl. Kröber 1972).

Als Tätigkeit stellt sie einen speziellen Funktionszusammenhang dar, „der durch die Aktivität des Subjekts wirkt, in seinem Inhalt aber entscheidend vom Objekt und von den verfügbaren Mitteln her bestimmt ist“ (Laitko 1979: 62).

Wissenschaft wird ganz allgemein nur als „Lehre, die die allgemeinen Erkenntnisse eines Bereiches darstellt“ (Seiffert, Radnitzky 1992: 394) bestimmt; etwas genauer ist die Definition als „Bereich der geistigen Produktion der Gesellschaft, der auf die rationale Abbildung allgemeiner, notwendiger und wesentlicher Zusammenhänge der objektiven und der subjektiven Realität sowie der Wechselbeziehungen zwischen beiden gerichtet ist“ (Laitko 1996: 872).

Interessant ist die Kennzeichnung der Wissenschaft als „theoretische Aneignung der Wirklichkeit (der Welt, der Objekte, der objektiven Realität) auf der Grundlage einer bestimmten Form der praktischen Aneignung dieser Welt“ (Mocek 1988: 74). Entsprechend dieser Bestimmung ist die praktische Aneignung der Welt zwar Grundlage der Wissenschaft, diese enthält selbst aber nur die theoretische Aneignung. Ich denke, diese Aufspaltung von Theorie und Praxis ist einseitig, denn auch die Wissenschaft enthält praktische Tätigkeiten und sie ist selbst Moment menschlicher Praxis (vgl. Schmied-Kowarzik 1985). Davon, dass Wissenschaft nicht als Theorie der Praxis entgegensteht (wie z.B. von Siemek 1985 berechtigt kritisiert), wird hier ausgegangen. Es geht nun um die weitere Präzisierung, welche Art Praxis, Tätigkeit bzw. Arbeit Wissenschaft darstellt.

Erkennen und Werten

Die Aktivität des Subjekts wird „in seinem Inhalt“ vom Objekt und den verfügbaren Mitteln bestimmt, aber nicht eindeutig. Durch das Bewusstsein gibt es nicht nur die Tätigkeit als Prozess, bei dem mit bestimmten Potentialen in einer bestimmten Weise ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll (Verhalten in der Tätigkeit)– sondern auch ein bewusstes Verhalten zu der  Tätigkeit selbst (Verhalten zu der Tätigkeit). In dieser Sichtweise treten zu Ziel und Methode noch Zweck[19]  und Motivation[20] hinzu (ebd.: 65)[21]. Wenn Bewusstsein für menschliche Tätigkeit wesentlich ist, ist also auch Wertung vom Erkennen nicht zu trennen, nur analytisch zu unterscheiden. Erkennen dient zur Erkenntnis dessen, was und wie etwas getan werden kann, woraufhin Wertung über die Zweckmäßigkeit bestimmt, es so oder so zu tun. Aber schon die Entscheidung darüber, welches „was“ und „wie“ zu erforschen ist, wird auch  vom wertenden Bewusstsein bedingt. In diesem zeigen sich individuelle wie auch Gruppen-, bzw. Klasseninteressen, die gesellschaftlich-historisch determiniert (bedingt und bestimmt)[22] sind. Erkenntnis wird also (weder als Prozess noch in der Resultatsform) nicht nur von der Beschaffenheit des Objekts bestimmt, sondern auch von der ökonomischen und sozialen Geschichte der Subjekte.

Wissenschaft und gesellschaftliche Praxis

Die wissenschaftliche Tätigkeit ist ein Moment der Aktivität einer Gesellschaft. Wissenschaftlichkeit als spezielle Form der Erkenntnis ist also gegenüber anderen gesellschaftlichen Aktivitätsformen die Besonderheit des Erkennens. Diese Besonderheit besteht darin, dass es nicht direkt um die Veränderung der menschlichen Welt geht, sondern erst einmal um die objektive Erforschung der Veränderbarkeit (vgl. Laitko 1979: 84) durch „Einsichten in objektive Gesetze und ihre Wirkungsmechanismen“ (Hörz 1988: 60). Das höchste Maß an Objektivität ist durch die Erkenntnisform Wissenschaft möglich (vgl. Schlemm 2005).

Objektivität bedeutet dabei nicht, dass die Gegenstände der Erkenntnis als „äußerlich entgegengestelltes und fremdbestimmtes Praxisgeschehen“ dem „praktisch entmündigten[n], funktionierende[n] Erkenntnissubjekte[n]“ (Schmied-Kowarzik 1985: 15) äußerlich entgegen stehen würden. Erkenntnis und Wissenschaft ist bereits als Tätigkeit (nicht erst als Arbeit) nur in ihrer Einheit mit dem bewussten Lebensprozess der Menschen bestimmbar. Dieser Lebensprozess selbst ist „wirklich praktischer Teil der zu erkennenden Wirklichkeit“ (ebd.: 16). Wie oben (1.1.1) beschrieben, ist auch die Subjektivität nie getrennt von ihren Objekten denkbar, sondern sie selbst ist Subjektivität nur innerhalb des wirklichen Lebens- und Erkenntnisprozesses. Wissenschaftliche Erkenntnis als Praxis[23] und innerhalb menschlicher Praxis hat aber eine gegenüber anderen Tätigkeiten spezifische Besonderheit: Sie erkennt wesentliche und gesetzmäßige Zusammenhänge als Grundlage von Erscheinungen, deren Wahrnehmung als Oberflächenphänomen noch nicht ausreichend wäre zur Orientierung des eigenen Handelns, wenn es darauf gerichtet ist, sich nicht nur anzupassen, sondern selbst Bedingungen so zu verändern, dass sich Handlungsmöglichkeiten ändern können.[24]

Je nach konkreter geschichtlich erreichter Entwicklungsstufe gibt es hierbei unterschiedliche konkrete Formen des Interesses an Veränderbarkeit (oder eben nicht!) und deshalb auch unterschiedliche Typen von Erkenntnis und Wissenschaftlichkeit (vgl. Hörz 1988). Wenn die Veränderbarkeit im Fokus des wissenschaftlichen Interesses steht, so beinhaltet dies einerseits natürlich die Verhaltensweisen der uns äußerlichen Umgebungsfaktoren – andererseits aber auch Selbsterkenntnis, denn es geht natürlich immer gerade um die Veränderbarkeit für uns und durch uns.

Die höchste Form der Wissenschaftlichkeit ist dann erreicht, wenn auch die eigene Subjektivität, die eigenen Interessen objektiv erkannt werden können.[25]

Wird Wissenschaft als Tätigkeit betrachtet, so sehen  wir sie als eine Tätigkeit unter anderen. Wir unterscheiden so Wissenschaft und materiell-produktive Arbeit in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit, mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden (Unterschied ihrer Produkte: Wissenschaft produziert Wissen, materiell-produktive Arbeit materielle Gebrauchswerte) (vgl. Laitko 1979: 172).

2.2 Wissenschaft und Arbeit

Wissenschaft ist auf jeden Fall abhängig von der materiell-produktiven Arbeit, durch die Erzeugung freier Zeit, der Möglichkeit der Verselbständigung des erkennenden Verhaltens durch die Arbeitsteilung usw. die Voraussetzungen für Wissenschaft schafft (vgl. Laitko 1979: 121).

Laitko diskutiert drei mögliche Verhältnisse zwischen Wissenschaft und Arbeit (ebd.: 125):

1.      Wissenschaftliche Tätigkeit  steht zur Arbeit in Beziehung, ist aber selbst keine Arbeit.

2.      Wissenschaftliche Tätigkeit ist Arbeit als eine besondere Arbeitsart neben anderen.

3.      Wissenschaftliche Tätigkeit ist Arbeit als eine Stufe der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, die ein Zwischenprodukt dieser Gesamtarbeit erzeugt.

zu 1.: Eine andere Tätigkeit, die zwar notwendig für die Arbeit, aber selbst noch keine Arbeit ist, ist z.B. das Spiel. Das Problem dieser Ansicht besteht darin, dass kaum noch eine Grenze angegeben werden kann und schließlich alle Tätigkeiten als Arbeit bezeichnet werden.

zu 2.: Wissenschaftliche Ergebnisse können als nützliche Güter (im Wertverhältnis: Gebrauchswerte) neben anderen nützlichen Gütern verstanden werden. Wissenschaftliche Tätigkeit wäre dann konkrete, nützliche (gebrauchswertbildende) Arbeit. Die Betrachtung bleibt dann aber stehen bei der Nutznießung des Arbeitsresultats. Entsprechend der oben dargelegten Unterscheidung von Tätigkeit und Arbeit geht hier auch die Spezifik der Arbeit gegenüber der Tätigkeit verloren, weil der Gesamtprozeß nur aus der Sicht der Zweckerfüllung betrachtet wird.

Damit wird klar, dass es sinnvoll ist, die dritte Variante zu vertreten. [26]

Im Unterschied zur Sichtweise der Wissenschaft als Tätigkeit, in der die Wissenschaft als Tätigkeit neben anderen Arbeitstätigkeiten stand, ist Wissenschaft als Arbeit nicht mehr von anderen Tätigkeiten trennbar. „Wissenschaftliche Arbeit erscheint nunmehr als verschwindende und sich zugleich stets erneuernde Vermittlung, die in die Bewegung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit als des gegenständlichen Wissens des gesellschaftlichen Individuum eingeschlossen ist“ (Laitko 1979: 172).

Historisch entstand Wissenschaft aber nicht sofort als solches Moment der gesellschaftlichen Arbeit, sondern eher als Tätigkeit neben der Arbeit. Eng verbunden mit aber nicht eindeutig bestimmt von der gesellschaftlichen Entwicklung entwickelte sich auch die Wissenschaft auf dem Weg verschiedener, voneinander unterscheidbarer Stufen bzw. Typen (Hörz 1988: 84, 92). Hörz spricht vom Wissenschaftstyp der Herausbildung der Wissenschaft (bis Aristoteles), des altorientalischen Wissenschaftstyps, des Zunfthandwerks und der autarken Landwirtschaft (Mittelalter und Renaissance), der Manufaktur (dessen Existenz noch in Frage steht), der Industrie und der wissenschaftlich-technischen Revolution (ebd.: 88, 98). Jeder dieser Typen besteht selbst aus unterschiedlichen Phasen und vor allem die „Reifephase ist direkt mit der entsprechenden Produktionsweise verbunden“ (ebd.). Bis zur industriellen Produktion war Wissenschaft von der Produktion eher getrennt. Die Herausbildung der Wissenschaften in Form von Sammlung und Sichtung empirischer Daten war eine spezifische Tätigkeit einer bestimmten Gruppe von Menschen. Auch im Wissenschaftstyp des Zunfthandwerks und der autarken Landwirtschaft war Wissenschaft und Produktion weiterhin getrennt. Trotzdem war die Wissenschaftsentwicklung durch die Notwendigkeit der Bereitstellung ihrer Voraussetzungen von der Produktions- und allgemeinen Gesellschaftsentwicklung abhängig. Wissenschaft erzeugt jedoch über diese Abhängigkeit hinausgehenden Vorlauf zur Entstehung neuer Produktivkräfte. Den Übergang zur notwendigen Verbindung von Wissenschaft und Produktion kennzeichnet die Entstehung der Technologie als Wissenschaft durch die Analyse und Verallgemeinerung technologischer Praxen der verschiedenen Zunfthandwerke durch Johann Beckmann (1802). Auch Adam Smith betont, dass nicht nur die Erfindungsgabe der Benutzer und Maschinenbauer selbst zu Verbesserungen der Maschinen führten, sondern auch von „Männern, die wir Philosophen oder Denker nennen“ (Smith: 16) initiiert wurden, also durch die systematische und wissenschaftliche Verknüpfung der „Kräfte der entferntesten und unterschiedlichsten Erscheinungen“ (ebd.). Die Wissenschaft vergegenständlicht sich in der Maschinerie – wird aber selbst in arbeitsteiliger Trennung vom unmittelbaren Produktionsprozess vorangetrieben.

Zum gegenwärtigen Übergang vom industriellen Typ zum Wissenschaftstyp der wissenschaftlich-technischen Revolution betont Hörz die neuen Charakteristiken des letzteren, die dem vorgehenden widersprechen (Hörz 1988: 106ff.)

 

 

Wissenschaftstyp der
industriellen Revolution

Neuer Wissenschaftsyp

Ziel

Ersatz von Hand und Muskeln durch Maschinen

Mensch wird zum schöpferischen Gestalter und Kontrolleur seiner Arbeits- und Lebensweise

Sinn

Festigung des Selbstbewusstseins des Menschen über seine Erweiterung der Herrschaft über die Natur

Ausbau der Funktionen der Wissenschaft als Produktivkraft, Kulturkraft, Human- und Sozialkraft

Gegenstand

Naturgesetze und mathematische Beziehungen; Trennung von Natur- und Kulturwissenschaften

neue Bedürfniskomplexe: Ökologie, Persönlichkeitsentwicklung... Aufhebung der Trennung von Natur- und Kulturwissenschaften; Entwicklungsdenken wesentlich

Rationalitätskriterien

Exaktheit, Trennung von Wahrheit und Wert, von Naturerkenntnis und Naturbeherrschung

Richtigkeit (Konsistenz), Wahrheit (Adäquatheit), Wirksamkeit

 

Als Merkmale des neuen Wissenschaftstyps erwähnt Hörz (Hörz 1988: 103ff.):

-           Der Mensch tritt immer mehr aus dem eigentlichen Fertigungsprozess materieller Güter heraus;

-           Der Mensch wird immer mehr vom Nachahmer der Natur zum Konstrukteur biotischer Systeme im Rahmen der Naturgesetze;

-           Revolution der Denkzeuge (statt nur Revolution der Werkzeuge).

Dieser neue Wissenschaftstyp wird von Hörz aber nicht nur auf technologische Neuerungen bezogen, sondern es entsteht eine neue „prinzipielle Haltung des Menschen zu seiner Umwelt“ (ebd.: 103), die damit verbunden ist, dass „das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln existiert“ (ebd.), also auch eine neue gesellschaftliche Phase begonnen hat. Auch wenn sich dies  inzwischen als Irrtum herausgestellt hat, bzw. rückgängig gemacht wurde, bleibt die Erkenntnis festzuhalten, dass die neu geschaffenen Effektivitätsmittel nicht von selbst auch der Erweiterung der Humanität dienen, sondern dafür auch wieder die geeigneten gesellschaftlichen Bedingungen vorliegen müssen.

Heute würde der mögliche neue Wissenschaftstyp sicher nicht mehr mit dem damaligen Modewort „wissenschaftlich-technische Revolution“ bezeichnet werden – angesichts der sich als fundamental herausgestellten Notwendigkeit einer kritischen Ablehnung des Herrschaftsverhältnisses von Mensch und Natur könnte vielleicht eher der Blochsche Begriff der Allianz wiederbelebt werden (zu aktuellen Ansätzen einer Allianz-Technologie siehe Schlemm 1995 und Schlemm 2004).

Wissenschaft als produktive oder unproduktive Arbeit?

Ob Wissenschaft (im Kapitalismus, denn nur hier macht diese Unterscheidung Sinn) im oben vorgestellten Sinne als produktive oder unproduktive Arbeit verstanden werden kann, ist auch nicht abstrakt aussagbar. Während sie in ihren ersten historischen Formen eher nur als Tätigkeit und nicht als Arbeit zu verstehen ist, trat sie später in die Arbeit ein. Mit der Entwicklung der Industrie wurde die Wissenschaft zumindest zu einer notwendigen Voraussetzung der industriellen Arbeit. Später wurde die Wissenschaft technologisch zu einer Produktivkraft.

Wissenschaft ist nicht per se produktive Arbeit, sondern sie wird es entweder wenn ein Kapitalist wissenschaftliche Leistung kauft, um mit ihrer Hilfe Mehrwert zu gewinnen (vermittelt über die Warenzirkulation) oder wenn sie direkt (unmittelbar unter das Kapital subsumiert) als Unterfunktion des vom Kapital angewandten produktiven Gesamtarbeiters auftritt (Laitko 1979: 132). Laitko schätzt ein, dass die zweite Möglichkeit überwiegt.[27]

Wissenschaft in ihrer produktivkraftsteigernden Funktion wird zur Kapitalreproduktion und –vermehrung eingesetzt, nicht gegen Einkünfte getauscht (wie bei diversen psychologischen und  anderweitig privaten Beratungen, in Arztpraxen u.s.w.). Ein Lehrer in einer kapitalistisch orientierten Unterrichtsanstalt ist dem Unternehmer gegenüber produktiver Arbeiter, den Schülern gegenüber jedoch nicht (Marx TMW1: 374).

 

Das Problem bei der Einbeziehung wissenschaftlicher Arbeit ist ihre Aufwandsermittlung, das aufgrund der unmöglichen Durchschnittsbildung als „Moment des Grundwiderspruchs der kapitalistischen Produktionsweise“ (ebd.: 135) wirkt.

Obwohl die Wissenschaft durch die Einbeziehung von Naturkräften die Arbeitsproduktivität erhöht, wird der Wert der hergestellten Waren nicht erhöht, sondern der Tauschwert einer Ware sinkt durch den höheren Anteil an wissenschaftlicher Arbeit.

2.3 Wissenschaft als allgemeine Arbeit

Wie oben schon geschildert, reproduziert sich der Mensch als Gattungswesen, d.h. er „muß [...] sich gegenüber der Natur praktisch allgemein verhalten“ (Laitko 1979: 151). Dies liegt darin begründet, dass die Arbeitsmittel als „spezifische Träger des allgemeinen Verhaltens“ (ebd.: 157) zur Wirkung kommen.[28]

Dieses allgemeine Verhalten setzt aber voraus, dass er die Naturgegenstände auch in der Form der Allgemeinheit abbildet. Dieses allgemeine Verhalten ermöglicht es, dass Menschen über das „niedere Begehrungsvermögen [...] nach welchem sich der Mensch als Naturwesen verhält“ (Hegel NHS: 205) hinausgehen und entsprechend dem „höheren Begehrungsvermögen“ ihre eigene Wahl treffen zwischen den  erkannten Möglichkeiten und „die eine oder andere zur meinigen machen, die ich alsdann in Wirklichkeit versetze“ (Ebd.: 206).

„Durch die Kenntnis des Allgemeinen der Natur und damit der Veränderbarkeit ihrer einzelnen Erscheinungsformen besitzt das Ich „Unbestimmtheit“, negativ ausgedrückt, es ist durch die konkrete Beschaffenheit der Natur nicht zu einem bestimmten Dasein determiniert, positiv ausgedrückt, es kann (in den Grenzen seiner Kenntnis und seiner praktischen Macht – das muß man hinzufügen) unter verschiedenen Möglichkeiten des Verhaltens gegenüber der Natur frei wählen und damit Bestimmtheit zunächst geistig („praktisches Bewusstsein“) und dann praktisch-handelnd setzen.“ (Laitko 1979: 152).

In solch allgemeine Arbeit ist Wissen eingebunden, aber nicht nur in Form von Wissenschaft. Die Wissenschaft wird erst dann zur allgemeinen Arbeit,

-           „wenn die besonderen Arbeiten allein auf der Grundlage der innerhalb der Produktion zu realisierenden objektiven Erkenntnis nicht mehr in der erforderlichen Weise vervollkommnet werden können“ (ebd.: 155) und

-           wenn „die gegenständlichen Mittel der Arbeit vergegenständlichte Wissenschaft sein müssen“ (ebd.: 9).

Erst jetzt kann man davon sprechen, dass die Wissenschaft als Bereitsteller objektiv-allgemeinen Wissens selbst allgemeine Arbeit geworden ist. Arbeit ist dann „wissenschaftliche Tätigkeit [...] Arbeit als eine Stufe der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, die ein Zwischenprodukt dieser Gesamtarbeit erzeugt“ (s.o).

 

Bisher haben wir vor allem über die Beziehung der Wissenschaft zur Arbeit gesprochen. Aber auch die Wissenschaft selbst bekommt dadurch andere Bestimmungen: So wird ihr Gegenstand nicht mehr lediglich in den ihr äußeren Gegenständen gesehen, sondern beispielsweise "die Physik muß als Produkt der physikalischen Arbeit verstanden werden, nicht als Ergebnis des Einsammelns "an sich existierender" Naturbeziehungen" (Ruben 1969: 125). Ruben analysierte die Wissenschaft selbst in Bezug auf die Arbeitsprozesse, die in ihr stattfinden, wie die „gegenständliche Arbeit der Umbildung natürlicher Sachverhalte in Vertreter von Allgemeinem, d.h. ihrer Umbildung in Modelle bestimmter Eigenschaften“ (Ruben 1978: 30). 

In der ersten Phase der Existenz der Wissenschaft als Arbeit ist sie den kapitalistischen Verhältnissen subsumiert, sie ist produktive Arbeit im Sinne der Kapitalakkumulation. Dabei stehen im Kapitalismus die Bedingungen der Allgemeinheit der Arbeit dem Arbeiter selbst im Kapital entgegen und deshalb, „bleibt die Wissenschaft außerhalb seiner lebendigen Arbeit“ (Laitko 1979: 157) – er ist auch der Wissenschaft gegenüber entfremdet (sogar als wissenschaftlicher Arbeiter, bzw. arbeitender Wissenschaftler)

„Und so erscheint die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit und die Bedingungen dieser Entwicklungen als Tat des Kapitals, zu der sich der einzelne Arbeiter nicht nur passiv verhält, sondern die im Gegensatz zum ihm vorgehn.“ (Marx TMW1: 355). Diese entfremdete Realität führt zu Protesten – nicht nur gegen die Entfremdung, sondern ihren Gegenstand, die Wissenschaft selbst.

3 Schlussfolgerungen zur Wissenschaft für eine Freie Gesellschaft und in der Freien Gesellschaft

3.1 Arbeit als Selbstbetätigung

Schon oben wurde die Frage gestellt, ob es um die Befreiung von der Arbeit oder die Befreiung (in) der Arbeit gehen müsse. Eine salomonische Antwort könnte sein: Es geht um die Befreiung von abstrakter Arbeit und die Befreiung konkreter Arbeiten. Auf jeden Fall können wir uns nicht  der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur entledigen: „Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. [...] Die Freiheit auf diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn.“ (Marx KapIII: 828). Nach Marx beginnt deshalb erst jenseits dieses Reichs der Notwendigkeit „die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann.“ (ebd.)

Eine „von Selbsterhaltung befreite Praxis“ (Braun 1985: 37) kann es nicht geben - die Notwendigkeit der Selbsterhaltung als biotische Wesen kann nicht umgangen werden (solange und insoweit wir nicht nur als virtuelle Informationspakete in Computern herumschwirren, deren Energieversorgung dann auch noch zur Debatte stehen müsste).

Allerdings muss und wird auch diese notwendige Reproduktionsarbeit nicht bleiben, wie sie unter der Herrschaft der abstrakten Arbeit ist. Auch sie wird befreit werden und sich qualitativ zu einem Bereich verändern, in dem die Menschen sich weiter entwickeln und entfalten können – in dem diese Selbstentfaltung der Menschen (auf Grundlage selbstverständlich gewährleisteter biotischer Existenzerhaltung) in jeder Hinsicht sogar zum Zweck der Produktion wird.

Auf der gegenwärtigen Stufe der Entwicklung der Produktiv- und damit (unter gegenwärtigen Bedingungen) Destruktivkräfte ist diese Option der Befreiung von abstrakter Arbeit und der Befreiung der selbstentfaltungsorientierten Arbeit nicht nur eine Möglichkeit unter anderen, unter denen beliebig zu wählen wäre, [29], sondern:

„Es ist also jetzt so weit gekommen, daß die Individuen sich die vorhandene Totalität von Produktivkräften aneignen müssen, nicht nur um zu ihrer Selbstbetätigung zu kommen, sondern schon überhaupt um ihre Existenz sicherzustellen.“ (Marx, Engels DI: 67).

Diese Freie Gesellschaft als Selbstentfaltungsgesellschaft (siehe Meretz, Schlemm 2001) kann derzeit nur vage umrissen werden. Eine Aufhebung der Gesellschaftlichkeit zugunsten einer nur interaktiv gemeinschaftlichen Kooperation, bzw. der „Widerherstellung der Unmittelbarkeit“ ist jedoch keine mögliche Option (denn nur der Systemcharakter des Gesellschaftlichen ermöglicht die individuelle Freiheitsbeziehung). Es ist notwendig, emanzipative, freiheitliche und ökologische Formen der Vermittlung des Allgemeinen zu entwickeln. Einige Charakteristika wurden schon von Marx genannt:

-           Wirkliche Gemeinschaftlichkeit und Allgemeinheit, die nicht durch Vergleichung (der Waren von erst isoliert unterstellten Produzenten) erreicht wird (Marx Gr.: 93),

-           „universal entwickelte Individuen, deren gesellschaftliche Verhältnisse als ihre eignen, gemeinschaftlichen Beziehungen auch ihrer eignen gemeinschaftlichen Kontrolle unterworfen sind“ (ebd.: 95),

-           Ersetzung der Arbeitsteilung auf Grundlage von privater Einzelproduktion durch eine „Organisation der Arbeit [...] die den Anteil des einzelnen an der gemeinschaftlichen Konsumtion zur Folge hat“, wobei „die Teilnahme an der Produktenwelt, in der Konsution, [...] nicht durch den Austausch voneinander unabhängiger Arbeiten oder Arbeitsprodukte vermittelt“ ist, sondern „durch die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, innerhalb deren das Individuum tätig ist“ (ebd.: 104)

-           Einheit von Selbstbetätigung und Erzeugung des materiellen Lebens (Marx, Engels DI: 67)

-           Einheit der Aneignung einer Totalität von Produktionsinstrumenten und der Entwicklung der Totalität von Fähigkeiten in den Individuen selbst (ebd.: 68)

-           Verwandlung der Arbeit in Selbstbetätigung (ebd.) .

3.2 Wissenschaft in der Freien Gesellschaft

Wissenschaftskritik bezieht sich häufig auf die in der Wissenschaft gesehene Subjekt-Objekt-Trennung und auch auf das entfremdete Naturverhältnis in der Wissenschaft. Beide Probleme beruhen auf der eben für den Kapitalismus als typisch erkannten Herrschaft der abstrakten Arbeit über die konkrete. Die Trennung von Subjekt und Objekt sowie von Mensch und Natur bildet die reale Trennung von Arbeitskräften und ihren Produktionsbedingungen im Kapitalismus nach. Dabei ist auch im Kapitalismus in der wirklichen Arbeit Subjekt und Objekt wie auch Mensch und Natur nicht trennbar, sondern bilden selbst die konkrete Einheit Arbeit.

Das heißt auch, dass es unangemessen ist, dem Subjekt bzw. der Gesellschaft das Primat der Aktivität zuzusprechen. Die Kritik von Ruben und Warnke zur Ansicht von Lukácz zur Arbeit im allgemeinen lässt sich auch  für die spezifische wissenschaftliche Arbeit fortführen. Lukácz hatte die Arbeit als Zielrealisierung durch die Menschen bestimmt und die aktive Bedeutung der Natur dabei verleugnet (Ruben, Warnke 1979: 24). Tatsächlich jedoch müssen menschliches Subjekt und außermenschlich-natürliches Objekt in einer konkreten Einheit aufgefasst werden, „wobei jedes der beiden Momente eine Einheit von Gegenständlichkeit und Verhalten ist“ (ebd.: 25).

Arbeit und speziell wissenschaftliche Arbeit kann nicht nur Äußerung eines Subjekts unter Ausschluss und im Gegensatz zum Objekt (Natur) begriffen werden – es ist nicht möglich, die Arbeits-(bzw. Erkenntnis-)gegenstände und –mittel aus dem Arbeits-(Wissenschafts-)begriff auszuschließen (vgl. ebd.: 28).

Einerseits beruht jede Verabsolutierung der Trennung von Subjekt und Objekt bzw. Mensch und Natur auf Fehlinterpretationen der wirklichen Wissenschaft. Auch die wirkliche Wissenschaft ist eine konkrete Einheit dieser ihrer Momente, sonst würde sie nicht funktionieren, nicht einmal nur instrumentell, wie ihr vorgeworfen wird. Es kommt also auf dieser Seite darauf an, die konkrete Einheit der Momente in der realen Wissenschaft aufzusuchen und nicht zu verleugnen. Andererseits ist wie jede Arbeit auch die wissenschaftliche Arbeit im Kapitalismus von ihren abstrakten Anteilen bzw. von den ihr übergeordneten Momenten abstrakter Arbeit überhaupt beherrscht und dies beeinflusst ihre reales Sein nicht unmaßgeblich.  Wissenschaft in einer Freien Gesellschaft muss beide Herrschaftmomente abstreifen (was sie aber nicht allein ohne umfassende gesellschaftliche Umgestaltungen kann).

Um den Weg dafür von wissenschaftlicher Seite zu bereiten, kann an den eben genannten Punkten wenigstens vorüberlegt werden:

-          Negieren von überzogenen Fehlinterpretationen bezüglich der wirklichen Wissenschaft unter Herrschaftsbedingungen (z.B. der Fehlinterpretation des „weltanschaulichen Mechanizsimus der physikalischen Theorie der Klassischen Mechanik“),

-          Bekämpfung der Beherrschung von Wissenschaft durch die (kapitalorientierten, nicht primär nützlichen) Maßgaben der kapitalistischen gesellschaftlichen Zielvorgaben,

-          Bekämpfung der Anteile der Herrschaft des Abstrakten über das Wirkliche, Konkrete in der Wissenschaft selbst.

Das Ziel der Neuorientierung der Wissenschaft in einer freien Gesellschaft kann nur darin bestehen, dass sie einbezogen wird in die gesellschaftliche Gesamtarbeit, aber nicht mehr in abstrakter Weise über Mehrwertbildung, sondern jetzt tatsächlich „ein in seiner Spezifik gesellschaftlich notwendiges Resultat“ (Laitko 1979: 163; kursiv v. A.S.). Zu dem „notwendigen Resultat“ gehört dann auch die Selbstbetätigung, Selbstentfaltung der Individuen – gemeint ist nicht nur „ökonomischer Nutzen“ oder ähnliches. Da Wissenschaft schon bisher weniger nicht vollständig dem Abstrakten unterzuordnen war, ohne ihre Spezifik (das Veränderbare, Neue zu erkunden...) zu verlieren, kann sie „nur in der Republik der Arbeit ihre wahre Rolle spielen“ (Marx EE: 554).

Im Gegenzug kann die Freie Gesellschaft auf Wissenschaft auch nicht verzichten. Manche Wissenschaftskritik beruft sich auf die Instrumentalisierung der Wissenschaft im Kapitalismus als Herrschaftsmittel und will sie mit anderen Herrschaftsinstrumenten abschaffen.

Aber auch in der Freien Gesellschaft wird die Freiheit, wenn sie nicht in abstrakte Beliebigkeit und damit Nicht-Handeln ausarten will, auf Wissen über das Mögliche und unter anderen Bedingungen Möglich-zu-Machende nicht verzichten können. Wenn gewollte Ziele erfolgreich erreicht werden sollen, macht es wenig Sinn, beliebig herumzuprobieren, sondern die systematische Erkenntnis dessen, was unter welchen Bedingungen möglich ist, erweitert die Freiheit, zu handeln, maßgeblich.

Allgemeines und Wesentliches zu erkennen bedeutet keine beherrschende Festlegung, sondern ermöglicht Orientierung freien Handelns.

Es geht also darum, auf Wissen und Wissenschaft nicht zu verzichten, sondern so wie auch die  anderen Lebens- und Produktionsmittel neu angeeignet werden, sind auch die Denkmittel neu anzueignen (was sowieso in jeder Generation notwendig ist). Das erfordert allerdings harte Arbeit am Gegenstand, nicht abstrakte Kritisiererei und Ablehnung! Die Tiefe des Verständnisses, die Reife des Begreifens, die Fundierung des Wissens muss über das hinausgehen was bisher erreicht wurde; es kann das Alte nicht wegstoßen, sondern muss es selbst und damit seine Begrenzungen begreifen um darüber hinaus zu kommen.

In der allgemeinen Arbeit, wie auch der Wissenschaft bekommt der Zweck der Selbstbetätigung und Selbstentfaltung das Primat – deshalb werden „die gesellschaftliche Wirklichkeit der Natur und die menschliche Naturwissenschaft oder die natürliche Wissenschaft vom Menschen [...] identische Ausdrücke.“ (Marx ÖPM: 544)

Neuer Typ von Arbeit und Wissenschaft

Wir haben bereits erwähnt, dass Gesellschaftlichkeit niemals die Summe direkter, unmittelbarer Interaktionen darstellt. Die abstrakte herrrschaftsförmige Vermittlung des Gesellschaftlichen soll aber abgeschafft werden. Wie kann eine konkrete Vermittlung des allgemein Gesellschaftlichen aussehen?

Die aktuellen Produktivkräfte ermöglichen und erfordern eine neuartige Organisation der Produktion, die unter dem Stichwort „dezentral-vernetzte Selbstorganisierung“ zusammen gefasst werden kann (Schlemm, Meretz 2000).

Auch für die Wissenschaft ergeben sich daraus neue Möglichkeiten und Erfordernisse, die noch über das hinausgehen, was einst als „neuer Wissenschaftstyp der wissenschaftlich-technischen Revolution“ hinausgehen.

Inhaltlich sind dabei folgende Fragestellungen wichtig:

-           Eine auf schöpferische Selbstentfaltung orientierte Gesellschaft ist eine konkrete Einheit, in der die Wissenschaftlichkeit  Moment aller anderen Momente ist.

-           Angestrebt wird kein „interdisziplinäres“ oder „transdisziplinäres“ Flickwerk zwischen separaten Wissenschaften, sondern eine „menschliche Naturwissenschaft oder die natürliche Wissenschaft vom Menschen“, die in sich mannigfaltige, unterschiedene aber miteinander vermittelte Inhalte und Methoden entwickelt,

-           Auch die Philosophie besteht nicht mehr separat „neben“ den Einzelwissenschaften, sondern ist in ihrer Spezifik aufgehoben und integriert in Problemstellung und –lösung.

-           Ökologie und Humanismus wirken nicht als äußere Anforderungen auf die Wissenschaft ein, sondern ihre Orientierung ist immanent in die Struktur und Funktionsweise der Wissenschaft eingebaut;

-           Der Mensch befindet sich im Zentrum, seine jeweilige Entfaltungsbedürfnisse beinhalten die Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten, wofür wissenschaftliche Kenntnisse hilfreich sind (im Wechselverhältnis von Gegenständlichkeit und Verhalten von Mensch und seinem Handlungsfeld),

-           Die Aufgabe der Wissenschaft ist explizit nicht nur das Problemlösen unter gegebenen Bedingungen, sondern immer auch das Kenntlichmachen der Bedingungen und ihrer Veränderbarkeit (kritisch-schöpferischer Charakter).

Die konkrete Einheit von gesellschaftlichem Leben und Wissenschaft (bei innerer reicher Mannigfaltigkeit an spezifisch bestimmten Inhalten und Methoden) erfordert auch andere als die jetzigen Formen, in denen Wissenschaft sich organisiert:

-           Dezentral-vernetzte Selbst-Organisierung der wissenschaftlichen Arbeit (Ein Anfang für Kooperation auf schriftlicher Grundlage bietet z.B. das Projekt Opentheory (Meretz 2000ff.)) 

-           Die konkrete Einheit von Re(Produktion) – Kultur – Wissenschaft kann sich in vielfältigen kreativen Formen realisieren, ein Vorschlag bezieht sich auf „Häuser des Wissens“, die in Global Villages integriert sind (Nahrada 2003).

Literatur

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[1] Bereits bei tierischen Organismen ist diese Unmittelbarkeit aufgebrochen, indem durch die Entstehung der Psyche eine aktive Verhaltensflexibilität möglich wird, die nicht mehr nur „automatische Reaktionen“ beinhaltet (vgl. Schlemm 1996: 158ff.).

[2] Zur Unterscheidung zwischen vorgesellschaftlichen „Aktivitäten“ und gesellschaftlichen „Tätigkeiten“ siehe auch Holzkamp 1983: 70. Leontjew bezeichnet bereits tierische Aktivität als Tätigkeit (Leontjew 1987: 87).

[3] Auch Hegel betont das Bewusstsein, wobei er mit diesem die Handlung charakterisiert „Die Tat ist überhaupt die hervorgebrachte Veränderung und Bestimmung des Daseins. Zur Handlung aber gehört nur dasjenige, was von der Tat im Entschlusse liegt oder im Bewußtsein war, was somit der Wille als das Seinige anerkennt..“ (Hegel NHS: 206-207) Gegenüber der Durchbrechung der automatischen Reiz-Reakionsunmittelbarkeit durch psychisch vermittelte Verhaltensweisen bei Tieren wäre hier die neue Qualität des menschlichen Bewusstseins zu betonen.

[4] Handlungen sind nach Leontjew (1987: 102f.) zielgerichtete Prozesse, die die Tätigkeit konkret realisieren, aber mit ihrem Ziel nicht unbedingt direkt der motivationalen Orientierung der Tätigkeit entsprechen müssen (Handlungen erreichen zwar ein Ziel (Teilergebnis in arbeitsteiliger Tätigkeit), erfüllen aber nicht unbedingt selbst direkt das Motiv (Ernährung). Bei Holzkamp ist „Handeln“ anders bestimmt (vgl. Holzkamp 1983: 267).

[5] Das Wort „zunächst“ ist bei Marx immer ein Zeichen dafür, dass dieser Ansatz wieder negiert wird. Beispielsweise kennzeichnet er im Kapital die Ware „zunächst“ als „äußere[n] Gegenstand [...], das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt“ (Marx Kap: 49). An anderer Stelle negiert er diese Aussage explizit: „Denn die Ware als solche ist nie unmittelbar Gegenstand des Konsums, sondern Träger des Tauschwerts“ (Marx TMW1: 122).

[6] Das menschlich-spezifische des Werkzeugumgangs im Unterschied zur Werkzeugverwendung und –herstellung durch Tiere sehen sie wie Holzkamp darin, dass „Tiere keine Übertragung von Werkzeugen einer Generation auf die nächste kennen“ (Ruben, Warnke 1979: 23).

[7] Zuerst vertrat ich den Standpunkt der „Befreiung der Menschen von Zwangs-Arbeit zur Verwandlung der verbleibenden Arbeit in selbstbestimmte“ (Schlemm 1998), dann vermied ich einige Zeit auch die Verwendung des Begriffs „Arbeit“ (Schlemm 1999a, Schlemm 1999b). Aufgrund der Ablehnung abstrakter Begriffsbildungen kehre ich heute wieder zu meiner Ausgangsansicht zurück.

[8] Gegen die Arbeit beispielsweise: Während „in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb“, muss sich die nun anstehende (wirklich „kommunistische“) „gegen die bisherige Art der Tätigkeit selbst richten“, so dass sogar „die Arbeit selbst beseitigt“ (Marx, Engels DI: 69f.) wird. Im Manuskript war das Wort Arbeit an dieser Stelle versuchsweise weiter bestimmt worden als „... die moder[ne] Form der Tätigkeit, unter der die Herrschaft der...“ (ebd, Fußnote). Versuchsweise hatten Marx und Engels also hier auch das Wort „Arbeit“ mit kapitalistischer Arbeit gleichgesetzt und ihre befreite Form nicht mehr so genannt (vgl. auch ebd.: 77).

[9] vom Standpunkt des Kapitals aus (Marx TMW1: 356)

[10] Später betont Marx nochmals, dass „nur die Arbeit, die sich direkt in Kapital verwandelt, [...] produktiv“ ist (ebd: 357). Die „allgemeinen Produktivkräfte der Arbeit“ dagegen „betreffen nur den Arbeitsprozeß oder berühren nur den Gebrauchswert“ und „berühren nicht den Tauschwert unmittelbar“ (ebd.).

[11] Wie Marx selbst diskutiert, kann Arbeit auch dadurch produktiv sein, dass der Arbeitslohn gedrückt wird und dadurch Mehrwert geschaffen wird (Marx TMW1: 118).

[12] „Dagegen kaufe ich die Arbeit einer Köchin, damit sie mir das Fleisch etc. kocht, nicht um sie zu verwerten als Arbeit überhaupt, sondern [sie] zu genießen, zu gebrauchen als diese bestimmte konkrete Arbeit, so ist ihre Arbeit unproduktiv; obgleich diese Arbeit sich fixiert in einem materiellen Produkt und ebenso gut verkäufliche Ware sein könnte [...]“ (Marx TMW1: 128).

[13] Historisch gesehen erwartet Marx allerdings, dass die Produktion gegenständlicher Waren tendenziell eher in Form produktiver Arbeit, die Dienstleistungen in Form unproduktiver Arbeit geschehen wird (ebd.: 123-124, 126), wobei er aber nicht berücksichtigte, dass auch die Dienstleistungen unter kapitalistischen Verhältnissen zwangsweise „produktiv gemacht“ werden würden (Patentierung von Software, Kommerzialisierung von Pflegedienstleistungen, Unterdrückung der freien Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse...).

[14] Soweit es nur um den Sprachgebrauch geht, ist vielleicht der Hinweis von F. Engels in der 4. Auflage des Kapitals zu verwenden, der darauf hinweist, dass „Arbeit, die Gebrauchswerte schafft und qualitativ bestimmt ist“, im Englischen mit Work bezeichnet wird und dadurch besser unterscheidbar ist von labour als wertschaffender und quantitativ gemessener Arbeit (vgl. Marx Kap: 62 Fußn.).

[15] Marx setzt hierfür voraus, dass „die Bedürfnisse so weit entwickelt sind, daß die Surplusarbeit über das Notwendige hinaus selbst allgemeines Bedürfnis ist“ (Marx Gr.: 244).

[16] Laitko interpretiert in seiner Arbeit (1979) ab S. 160 die mittelbar allgemeine Arbeit als Arbeit im Kapitalismus (weil sie erst in der Zirkulation als allgemein gesetzt wird) und unmittelbar allgemeine Arbeit  als „solche, die von vornherein, in Ziel und Ausführung, als allgemeine gesetzt ist“ (ebd.: 161). Darin unterscheidet er sich von Marx, der als unmittelbare allgemeine Arbeit jene definiert, bei der die „Arbeit des einzelnen [...] unmittelbar zum Geld“ gemacht werden soll unter Negierung (Mißachtung) der Bedingungen, unter denen sie zu Geld und Tauschwerten gemacht werden muss (wie z.B. bei den Stundenzettlern, die er hier gerade kritisiert; Marx Gr.: 104ff.). Später jedoch bestimmt Laitko die bei ihm „mittelbar“ genannte allgemeine Arbeit als objektiv-abstrakt (162) und die bei ihm „unmittelbar“ genannte ist durch „ihre inhaltliche Besonderheit, ihre konkrete Gestalt als notwendig für die gesellschaftliche Gesamtarbeit bestimmt“ (ebd.: 163), also konkret allgemein.

[17] Marx betont: „Die Gleichgültigkeit gegen eine bestimmte Art der Arbeit setzt eine sehr entwickelte Totalität wirklicher Arbeitsarten voraus [...]. So entstehn die allgemeinsten Abstraktionen überhaupt nur bei der reichsten konkreten Entwicklung [...].“ (Marx Gr: 38). Im Kapitalismus erst wird die „Abstraktion der Kategorie „Arbeit“ [...] erst praktisch wahr“ (ebd.: 39). 

[18] Ebenso nahm Laitko an, dass die über den Kapitalismus hinausgehende Form gesellschaftlicher Allgemeinheit in den ihn umgebenden Verhältnissen, dem „real existierenden Sozialismus“, bereits erreicht sei.

[19] Zweck: Relation des gegenständlichen Inhalts einer Tätigkeit zu den Interessen des Subjekts (Laitko 1979: 65)

[20] Motivation: subjektives Verhalten zur Tätigkeit im ganzen, das aus der  Wahrnehmung der subjektiven Zweckmäßigkeit dieser Tätigkeit hervorgeht (ebd.).

[21] Dies verhindert eine nur instrumentelle Sicht auf Tätigkeit und blendet die realen Möglichkeiten bewusster Wertung und die Differenzierung zwischen Zielen und Zwecken nicht aus.

[22] Determiniertheit bedeutet hier nicht eindeutige Festgelegtheit, sondern verweist darauf, dass alle Momente mit anderen zusammen hängen, dass nichts völlig isoliert ist. Jedes Moment ist also durch andere und den Gesamtzusammenhang in je historisch konkreter Weise mehr oder weniger bedingt und bestimmt und bedingt und bestimmt mehr oder weniger andere. Diese Determinismusbestimmung (entsprechend Hörz 1996: 188ff.) verweigert sich der abstrakten Entgegensetzung von „Determinismus“ als „Vorherbestimmtheit“ (Stekeler-Weithofer 1999: 230) bzw. „durchgängigem Kausalzusammenhang“ (Hoffmeister 1955: 161) und Indeterminismus.

[23] Praxis wird von der Kasseler praxisphilosophischen Schule bestimmt als „Lebenstätigkeit“ (Braun 1985: 35) und „Prozeß der Menschwerdung in der Geschichte“ (Schmied-Kowarzik 1985: 22) – vor allem zwecks der „Negation der Herrschaft der Ökonomie“ (Givsan 1985: 58).

[24] Aus diesem Grund ist Wissenschaftliche Erkenntnis nicht nur eine „Verdopplung der Oberfläche“ des Erscheinenden, sondern dringt zu dessen Grund, den inneren Zusammenhängen, dem Wesen vor. Dabei wird die reine sinnliche Anschauung negiert: „Wissenschaftliche Wahrheit ist immer paradox vom Standpunkt der alltäglichen Erfahrung, die nur den täuschenden Schein der Dinge wahrnimmt.“ (Marx LPP: 129).

[25] Laitko konstatiert dies für die Arbeiterklasse, deren wissenschaftlicher Charakter aufgrund dieser Selbsterkenntnis nicht mit der Parteilichkeit in Widerspruch gerate (Laitko 1979: 88).

[26] Der Unterschied der Sichtweise in 2. und 3. ist auch ein Beispiel für den Unterschied zwischen wesens- und begriffslogischer Erfassung eines Gegenstands (vgl. Schlemm 2002). Während in 2. die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Tätigkeitsformen konstatiert wird, und als ihr Allgemeines lediglich das die Besonderheit der einzelnen Tätigkeit auslöschende abstrakt allgemeine Gemeinsame genommen wird, kommt es in 3. darauf an, den speziell untersuchten Gegenstand in seinem Bezug auf den gesamten Entwicklungskomplex zu begreifen.

[27] Marx schätzte bezüglich anderer immaterieller Produktion wie Kunst und Bildung ein: „diese Erscheinungen der kapitalistischen Produktion [...] sind so unbedeutend, verglichen mit dem Ganzen der Produktion, daß sie gänzlich unberücksichtigt bleiben können.“ (Marx TMW1: 374).

[28] Ohne die Berücksichtigung der Arbeitsmittel, z.B. in der Sichtweise der bloßen Tätigkeit zwischen Subjekt und Objekt, kann diese Allgemeinheit nicht erfasst werden.

[29] Nicht ausgeschlossen ist natürlich die Möglichkeit des grundsätzlichen Scheiterns, des Untergangs der Menschheit als Zivilisation. Aber falls  sie nicht untergeht, kann sie nicht anders, als in der beschriebenen Weise fortzuexistieren und sich zu entwickeln, wobei die konkrete Umsetzung der vorher nur allgemein nennbaren Prinzipien jeweils der freien Gestaltbarkeit der dann lebenden Menschen unterliegt.



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