Rezension von Annette Schlemm:

Octavia E. Butler: Die Parabel vom Sämann

Heyne-Verlag München 1999 (engl. Orig. 1993)

 

Was das Titelbild mit dem Inhalt des Buches zu tun haben soll, ist mir wieder einmal ein Rätsel. Vergessen wir es schnell.

Die Bilder, die das Buch in meinen Kopf formt, sind ganz andere: Eine kleinstädtische Siedlung, umgeben von einer Mauer - mitten im Chaos des brutalen Überlebenskampfes der Menschen.

Auch in dieser Siedlung wird bei einer alten Frau eingebrochen, die sich danach das Leben nimmt. Die nächste Tote ist ein dreijähriges Mädchen. Ein 15-jähriges Mädchen kennt nur Niedergang und kann die Erwachsenen kaum noch ertragen, die immer noch hoffen, dass irgendwann wieder eine Art "Normalität" eintritt, die sie nie kannte. Normalität, in der man Arbeit hatte, in der die Polizei kaum nötig war und wenn doch, sogar geholfen hat. Normalität, in der ein junges Mädchen aufs College konnte und einen Beruf erlernen. Lauren dagegen freut, endlich auch zu den Schießübungen zu dürfen. Sie kann sich nicht vorstellen, irgendwann eine Garagenecke mit einem der jungen Männer zu beziehen, um dann Kinder zu bekommen, die vielleicht sterben, vielleicht auch nicht. Sie kann es nicht verstehen, dass ihr Vater ihr verbietet, ihre Ängste über die Zukunft laut zu sagen, damit sich alle besser vorbereiten können.

"Bereit sein für das, was geschehen wird, bereit sein, es zu überleben, bereit sein für das Leben danach. Uns konzentrieren auf Überlebensstrategiren, so daß wir mehr tun können als uns herumstoßen lassen von Verrückten, Verzweifelten, Mördern und von Führern, die selbst nicht wissen, was sie tun." (S. 70). Bevor Lauren mit 18 Jahren die Siedlung verlassen kann, wird sie überfallen und nur mit Müh und Not kann Lauren ihr Leben und ihren gepackten Überlebenssack retten. Gemeinsam mit zwei Leidensgenossen lernt sie zu überleben da draussen in der Wildnis, wo nur noch das eigene Leben zählt.

Octavia E. Butler erzählt den weiteren Weg, einen harten Überlebenskampf auf dem Weg nach Norden, wo alles oder wenigstens einiges besser sein soll. Jobs, selbstverdientes Geld und die Möglichkeit, dass einem nicht ständig nach dem Leben getrachtet wird. Lauren hat außerdem ein Handicap, dass sie empfindlicher gegen das Leiden macht, dass sie aber auch zwingt, nicht so zu reagieren, wie es "normal" wäre in diesem Meer von Unmenschlichkeit. Sie erfindet sich eine neue Weltanschauung, beinahe Religion. Angebetet wird nicht mehr ein stabiler, fremder Gott - sondern die Veränderung, die anzunehmen und selbst zu gestalten ist.

"Leben! Das ist alles, was man noch tun kann. Leben. Aushalten. Überleben. Ich weiß nicht, ob jemals wieder bessere Zeiten kommen. Aber ich weiß, daß das nicht der Fall sein kann, wenn wir nicht diese Zeiten überstehen." (S. 97) Es ist kaum möglich, und nicht "normal", anderen zu vertrauen in diesen verrückten Zeiten. Lauren dagegen hilft einer Familie mit kleinem Kind, die sich bald darauf ihr und ihren Freunden anschließt. Das Grüppchen wächst und erhöht dadurch ihre Überlebenschancen. Sie finden ein Ziel und als sie es erreichen erwarten sie die verbrannten Knochen ihrer Bekannten. Aber trotzdem: "Natürlich werden Menschen überleben. Ein paar andere Länder werden überleben. Vielleicht saugen sie auf, was von uns übriggeblieben sein wird. Oder vielleicht brechen wir in eine Vielzahl kleiner Staaten auseinander, die sich untereinander um die Krumen streiten, die übriggeblieben sind." (S. 413) Jetzt wird klar, warum das Buch, "Die Parabel vom Sämann" heißt. Mehr, als vielleicht ein Körnchen zu werden, das keimen darf, wird nicht versprochen. Aber auch nicht weniger.

Octavia E. Butlers Roman trifft von Jahr zu Jahr mehr unsere alltägliche Realität. Die Entfernung zu dieser beschriebenenen möglichen Zukunft schrumpft erschreckend schnell und die Abzweige zu glücklicheren Zukünften sind verpaßt. Kann uns die Parabel helfen, selbst zu überleben? Ich selbst bleibe am Ende des Buches hilfloser zurück als vorher. Ich weiß, dass es keinen Sinn macht, die Gefahr zu verdrängen. Aber darauf, typisch amerikanisch neue Siedlungen zu erschließen, die wieder genauso anfangen, wie der amerikanische Traum begann - mag ich nicht zu hoffen. Zu wenig weiß ich über Hintergründe und die Notwendigkeit, unsere Lebens- und Wirtschaftsweise grundlegend zu verändern. Was ist zu säen? Was lohnt sich? Was soll keimen, ohne wieder die Welt zu zerstören? Das müssen wir gemeinsam herauskriegen. Mit Lauren und ihren FreundInnen.

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Mich erinnerte dieses Buch sehr an ein inhaltlich ähnlich gelagertes Buch, das nach einem Film entstand:

David Brin: Postman

Heyne-Verlag, München, 1998 (engl. Orig. 1985)

Diesmal war es ein richtiger Krieg, nicht eine allmähliche Barbarisierung, die unserer Welt ein Ende bereitete. Es sind Menschen übriggeblieben, verstreut in kleinen Grüppchen und Dörfchen. Gegeneinander abgeschottet, das Eigene erhaltend und nur notdürftig überlebend.

Dazwischen auch Herumstreuner, die meist nicht lange leben. Auch G., der nur im Buch, nicht im Film einen Namen hat, hat es erwischt. Er wanderte als Schauspieler zwischen den Orten umher - bis er von einer raubenden Mordbande, bei der ein ehemaliger Kopiergerätevertreter General spielt, aufgegriffen wird. Nur mit Mühe entkommt er. Ausgepumpt und erschöpft, im Gewitterregen findet er ein verrostetes Fahrzeug und verbringt die Nacht hier. Dem Gerippe am Steuer nützt die Postuniform nicht mehr - also wechselt sie ihren Besitzer. Später nimmt er auch die Posttasche, gefüllt mir alten Briefen, mit. Vor der nächsten Ortsfestung geht die Schauspielerei mit ihm durch. Er bezeichnet sich als POSTMAN im Auftrag der "wiederhergestellten Vereinigten Staaten". Das Spiel wird Ernst - die Menschen schöpfen Hoffnung, weil es wieder eine Regierung und einen Postdienst gibt... Als die Leute dem Postman ihre ersten Briefe an Freunde und Verwandte in anderen Orten bringen, will er sie nicht enttäuschen und nimmt sie mit. Leider gibt es da noch den General, der diese Hoffnung bei seinen Beutezügen spürt und sich daran macht, sie zu vernichten. Der falsche Postmann würde das Spiel liebend gerne aufgeben - aber ihm haben sich längst eine Menge junger Leute angeschlossen, die bald ein verzweigtes Postnetzwerk betreiben und... immer wieder in die Fänge des Generals geraten. Postman, der notorische Einzelgänger wird immer wieder vor die Frage gestellt: "Wer übernimmt die Verantwortung?"...

Als ich das Buch und den Film vor einigen Jahren zum ersten Mal kennen lernte, beeindruckte mich vor allem die Bedeutung und Macht der Kommunikation in solch einer Endzeitsituation. Sie gab mir auch die Hoffnung, dass es auch dann, wenn diese Horrorzukunftsvision Wirklichkeit geworden sein sollte, noch Hoffnung gibt. Heute stößt mich der aufgetragene US-Patriotismus im Film stark ab und entwertet auch die wichtige Grundidee.

Es wird uns wirklich nichts anderes übrig zu bleiben, als unsere Zukunft selbst zu schreiben und vor allem: zu machen!

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Robert Merle: Malevil

(erscheint in Kürze wieder)

Als ich einer Freundin über diese beiden Bücher erzählte, erinnerte sie mich an ein Buch, das wir beide unabhängig voneinander 1986 gelesen hatte. Da erschien auch in der DDR das Buch "Malevil" von Robert Merle.

Ich lese das Buch nun erneut auf dem Ostbahnhof in Berlin, während ich wegen der kostensparenden zuggebundenen Fahrkarte 6 Stunden warten muss. Es ist einer der inzwischen immer häufigeren "heißesten Tage des Jahrhunderts" - ich zerfließe sogar im Sitzen. Und lese von den Leuten, die sich zufällig in einem Burgweinkeller befinden, als es plötzlich unbeschreiblich laut und immer, immer heißer wird.

Es ist passiert. In Merles Buch explodierte in den 70er Jahren die Atombombe und verbrannte alles, was sie erreichen konnte. Nur die Burginsassen und wenige Menschen in einzelnen Orten überleben. Der Besitzer der Burg gibt sofort all sein Eigentum in den Besitz der Anwesenden - übernimmt aber so etwas wie eine Koordinierungsfunktion. Sie schaffen es, zu überleben und eine kleine Landwirtschaft aufzubauen. Sogar der anwesende Kommunist sieht ein, dass sie maximal so etwas wie einn "Agrarkommunismus" entwickeln können, keinen "wirklichen".

Aber die Idylle hält nicht lange an. Beim Pflügen bekommt der Pflüger etwas über den Kopf und das Pferd wird gestohlen. Ganz schlimm wird es, als eine Horde verhungerter Menschen die erste Saat im wahrsten Sinne des Wortes "wegfressen" will. Was nun?

Aus dem Klappentext der Ausgabe von 1986:

Es geht in "Malevil" nicht eigentlich um eine Zukunftsvision, sondern darum, wie man heute die Zukunft der Menschheit sichert. Während utopischeSchriftsteller wie Jules Verne oder H.G. Wells auf Grund der zu ihrer Zeit vorhandenen gesellschaftlichen oder technischen Möglichkeiten zu Zukunftsprognosenmit gewissem Wahrscheinlichkeitswert gelangen wollten, stellt Merle eine Hypothese auf, die nicht Zukunft werden darf. Sein Roman vermittelt dem Leser auf höchst spannende Art eine wichtige Lehre: Wenn nach einer Katastrophe, die Milliarden Menschenleben kostet und die Menschheit in eine graue Vorzeit zurückversetzt, die Überlebenden zu der Erkenntnis gezwungen werden, eine kommunistisch-kooperative Gesellschaft zu errichten, dann kann eine solche Alternative auch schon jetzt, da man über die unzerstörten hochentwickelten Kräfte der modernen Industrie verfügt, Wirklichkeit werden.
(Hans-Otto Dill)

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