Selbst-Organisations-Management - Konzepte:

Wissensmanagement

"Die Fähigkeit, aus Information Wissen zu erzeugen,
wird zu einer der Schlüsselkompetenzen der Zukunft werden." (Müller)

Auch hier wieder muß erst einmal ernüchternd festgestellt werden, daß dies zumindest seit dem Anfang der 70er Jahre bekannt war, als der damalige Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA äußerte: "Es sind nicht die Naturressourcen, die der US-Wirtschaft zugrunde gelegt werden sollten, sondern der Intellekt und die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse."

In den darauffolgenden Jahrzehnten allerdings, so sehen wir jetzt, verloren die klassischen Wettbewerbsvorteile endgültig ihre herrschende Rolle. Die Branchen mit dem größten Wachstum sind jetzt jene mit dem größten Anteil geistiger Arbeit und geringer geographischer Abhängigkeit (Mikroelektronik, Biotechnologie, neue Werkstoffe, Telekommunikation..., nach Thurow, S. 94).

Dadurch verlagert sich der Schwerpunkt des Managements insgesamt in Richtung des Managements dieser eher immateriellen Faktoren, des Wissensmanagements. Dem Produktionsfaktor Wissen wird 60% bis 80% der Gesamtwertschöpfung zugerechnet (Hummel, Sauter 1997).

Eine besondere Bedeutung erlangt das Wissensmanagement auch dadurch, daß die vielfältigen Umstrukturierungsmaßnahmen vorhandene "informelle Netzwerke" zerstören und insgesamt das Personal als Träger des Wissens häufig wechselt. Dadurch ist es unbedingt notwendig, eine Art "organisationelles" Wissen zu entwickeln.

In dieser Entwicklung verschob sich auch das Schwergewicht innerhalb der Technik, die als Werkzeug für geistige Arbeit wirkt.

"Aus dem einstigen Oberbegriff 'Elektronische Datenverarbeitung' (EDV) wurde mit der Vernetzung die 'Informationstechnik' (IT). Jetzt ist das 'Wissens-Management' in aller Munde." (Computerwoche Spezial 2/1999)

Bisher erfolgen Daten-Speicherung und -Verarbeitung (EDV), Fähigkeitsvermittlung (Bildung) und Innovation (in Forschung und Entwicklung) oft durch Abteilungsgrenzen voneinander isoliert. Die EDV- und IT-Lösungen spiegeln in ihren Ansätzen auch noch allzuoft die althergebrachten tayloristischen Organisationsstrukturen wieder und verstärken sie ggf. sogar noch. Wichtig ist die Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten bei der völligen Neustrukturierung der Prozeßabläufe (z.B. im Business Reengineering, siehe Hammer, Champy S. 112f.). Es geht nicht lediglich um Automatisierung, sondern um Innovation!

Das Wissensmanagement stellt sich damit radikal neue Aufgaben. Dahinter steckt nicht nur eine Neu-Organisation, sondern auch ein tieferes Verständnis für die Inhalte von Datenverarbeitung/Informationsvermittlung/ Wissensmanagement. Womit arbeiten diese neuen Techniken und Methoden eigentlich? Was sind Daten, Informationen und Wissen?

"Zeichen werden durch Syntaxregeln zu Daten, welche in einem gewissen Kontext interpretierbar sind und damit für den Empfänger Information darstellen. Die Vernetzung von Information ermöglicht deren Nutzung in einem bestimmten Handlungsfeld, welches als Wissen bezeichnet werden kann" (Probst u.a.).

Genau betrachtet, ist Wissen aber oft davon gekennzeichnet, daß es oft "subjektiv, kontextgebunden, schwer kommunizierbar und häufig unbewusst" (Mingers) ist.

Deshalb bemerkt Sammer:
"... Wissen ist ein individueller Zustand des kognitiven Subsystems oder, anders bezeichnet, des Gedächtnisses, und alles, was durch Externalisierung von Wissen dokumentiert werden kann, ist nichts anderes als Daten, und eben nicht Wissen oder Informationen." (Sammer)

Explizites Wissen:

Standardisiert, methodisch und systematisch

Strukturen, Prozesse, Dokumente, formalisier- und beschreibbar,

prinz. Allg. verfügbar und zeitlos

Implizites Wissen:

Subjektives Können, Fähigkeit und Kompetenz bei der Handhabung der Aufgabe

Nicht vollständig beschreib- und formalisierbar

(Bullinger)

Von Wissen sprach man bisher nur in Bezug auf menschliche Individuen. Inzwischen wird auch ein überindividuelles "organisationales Wissen" in den Operationsformen/dem Regelsystem sozialer Systeme (wie Organisationen) gesehen, die u.a. Leitlinien, Arbeitsprozeß-Beschreibungen, Routinen, Traditionen, spezialisierten Datenbanken, Produkt- und Projektwissen sowie Merkmale der spezifischen Kultur der Organisation beinhalten (Willke).

"Wissensmanagement beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Ressource "Wissen" in Organisationen. Es befaßt sich mit jenem Teil der Lernprozesse, die als gestaltbar angesehen werden." (Forum für Organisationales Lernen und Wissensmanagement)

Aus Praxiserfahrungen wurden folgende Bausteine des Wissensmanagement abgeleitet:

 

Bausteine des Wissensmanagements (nach Probst, Romhardt)

 

Die Aufgaben des Wissensmanagements sind (nach Probst u.a.):

  1. Wie schaffe ich mit intern und extern Transparenz über vorhandenes Wissen? Baustein Wissensidentifikation.
  2. Welche Fähigkeiten kaufe ich mir extern ein? Baustein Wissenserwerb
  3. Wie baue ich neues Wissen auf? Baustein Wissensentwicklung
  4. Wie bringe ich das Wissen an den richtigen Ort? Baustein Wissens(ver)teilung
  5. Wie stelle ich die Anwendungsicher? Baustein Wissensnutzung
  6. Wie schütze ich mich vor Wissensverlusten? Baustein Wissensbewahrung.
  7. Wie gebe ich meinen Lernanstrengungen eine Richtung? Baustein Wissensziele definieren.
  8. Wie messe ich den Erfolg meine Lernprozesse? Baustein Wissensbewertung.

Die Instrumente des Wissensmanagements hängen vom Ziel ab:

  1. Ziel: besserer Zugang zu Daten und Informationen zur Prozeßverbesserung,
    Lösung: Networking, Groupware oder Thesauri
  2. Ziel: neues Wissen generieren,
    Lösung: methodisch strukturierte Gruppenprozesse, in denen Kreativitätstechniken angewandt oder Szenarien gebildet werden; Wissen durch die Bildung von ModellWelten gestalten (Szenario-Methode, System-Simulation, Wissenslandkarte) (Preissler, Roehl, Seemann)

Angesichts der Komplexität des Wissensmanagements kann man auch von einem "Total Knowledge Management" sprechen.

 

 

Abbildung: Einflußfaktoren des Wissensmanagements

(Fishbone Diagram nach Roth/Papp S. 23)

Zwei Beispiele sollen die neue Form des Umgangs mit Wissen im Unternehmen verdeutlichen:

  • Bei Horváth & Partner GmbH wird das Wissen u.a. nach Branchen und Produkten geordnet und es werden Gelbe Seiten mit Ansprechpartnern und Know-how-Trägern im Unternehmen veröffentlicht, Fachkonferenzen dokumentiert usw. Dafür gibt es auch jeweils Themenverantwortliche, die aus der Vielfalt der Informationsquellen, das Wissen filtern, ordnen und aktualisieren müssen. Für diese Tätigkeit ist es wichtig innerhalb der Firma eine Anreizstruktur zu schaffen, so dass es sich lohnen muß, Wissen zu gebrauchen und aktuell zu halten (Capurro).

  • Bei McKinsey wird eine elektronische Datenbank mit Kompetenz-Center, Klienten-Center etc. betrieben, in dem Beratungsteams ihre Lernerfahrungen abspeichern. Die entsprechenden Dokumente enthalten Aufgabenstellung, Vorgehensweise, Erfahrungen und abgeleitetes Wissen. Aus der Qualität dieser Dokumente entsteht die wichtigste Reputation der jeweiligen Autoren. Der Zugriff auf die Datenbank wird ausgewertet und die besten Ideen und Anregungen in einem Rundbrief veröffentlicht. Auch die Rückfrage- und Beratertätigkeit ist zeitlich über On-Call-Consultants genau geplant (Willke).

 

Wichtig ist eine Unterscheidung von Daten- und Dokumentenspeicherung, sowie eines "Tough Forums", das auch vage Ideen enthalten und kommunizieren kann (vgl. auch Müller 1999). Das "Coaching" dieser Ideenbörse ist enorm wichtig. Ein Japaner betonte in einem Zeitschrifteninterview nachdrücklich: Manchmal ist das Einrichten einer Kaffeestube besser als eine weitere Datenbank... !!!

 

Umgang mit implizitem Wissen:

"freien Zugang zu Informationen", "offene Raumaufteilung", "offene Besprechungen" und "fließender Personalwechsel"

 

  • "Die Interaktion zwischen implizitem und explizitem Wissen findet im Westen überwiegend auf individueller Ebene, in Japan vor allem auf Gruppenebene statt.
  • Die westliche Unternehmenspraxis legt den Schwerpunkt auf explizites Wissen, japanische Organisationen auf Intuition, bildliche Sprache, körperliche Erfahrung usw. Hier sind inzwischen andere Akzentuierungen möglich.
  • Japanische Unternehmen setzen auf vieldeutige Unternehmensintentionen, hohe Redundanz von Informationen und Aufgaben, häufige Fluktuation, Autonomie auf Gruppenebene und Vielfalt durch funktionsübergreifende Projektteams" (Nonaka/Takeuchi 1995, S. 223-225).

 

Der Versuch der Bilanzierung des Wissens, des sogenannten Intellectual Capital (IC) ist von der Problematik geprägt, daß die neue lebendige Dynamik in das Korsett "linearer" ökonomischer Meßgrößen zu bringen wäre. ("Neuer Wein in alten Schläuchen läßt sie platzen!" Snowden). Wissen ist gleichzeitig Objekt und Vermögen. Ähnlich wie Quanten sich unter verschiedenen experimentellen Bedingungen einmal wie Teilchen, ein andermal wie Wellen verhalten, haben wir auch beim Wissen eine Dualität: Der Versuch des Messens verändert das zu Messende!

Das International Accounting Standards Committee hat bereits einen weltweit einsetzbaren Standard IAS 38 zum Thema "Immaterielle Vermögenswerte" ("Intangible Assets") entwickelt.

"Knowledge as object can be measured in the traditional way, whereas knowledge as capacity has to be measured differently: network analysis and innovation ability are the key methods." (Snowden 1999)

Gerade Wissen verändert sich in jedem Moment, es ist nicht als statische Größe festzuhalten.

Wissen ist nichts Statisches. Es zu managen, bedeutet nicht, endlich starre Organisationsformen für das bisher nicht Erfaßte zu finden, sondern im Gegenteil: Raum für das Erzeugen von Neuem, von Innovation zu geben. Stetiges Dazulernen ("Lernende Organisation") und vor allem Selbst-Erfinden (Innovation) ist das Ziel, dem Wissensmanagement untergeordnet ist.

Verbunden mit der gesteigerten Bedeutsamkeit der Informationen ist jedoch in Deutschland ihre Privatisierung (während in den USA öffentlich geförderte Publikationen jedem Bürger kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollen). Im inhaltlich auch nach dem Regierungswechsel noch aktuellen Programm der Bundesregierung wird wissenschaftliche und technische Information nur als Ware betrachtet. Mit der Privatisierung der Fachinformationszentren und der angestrebten (und über Hintertüren von unverschämten Bibliotheksgebühren z.B. in Thüringen schon eingeführten) Entgeltlichkeit wissenschaftlicher Informationen muß "die Wissenschaft ihre eigenen Produkte von der Wirtschaft zurückkaufen" (Tauss nach Sietmann).

Literatur (mit externen Links):
Bullinger, H. J., Mit Wissensmanagement neue Potentiale erschließen, in: Deutsches Industrial-Engineering-Jahrbuch 1998 (REFA)
Capurro, R., Lernen für das dritte Jahrtausend, in: Internet http://v.hbi-stuttgart.de/WM/aktuell.htm
Forum für Organisationales Lernen und Wissensmanagement, in Internet: http://enterprise.cck.uni-kl.de/wmk/papers/public/Wissensidentifikation
Gromow, G., Mensch und Information, in: Sputnik", Moskau Heft 2/ 1988
Hammer, M., Champy, J., Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen, Frankfurt/ New York 1994
Hummel, U., Sauter, W., Wissensmanagement und Lernen in der multimedialen Zukunft, online unter http://www.ba-heidenheim.de/verbind/stw/sr-presse.html (1997)
Müller, A., v., "Unser Ansatzpunkt ist der Wissensstoffwechsel in Unternehmen", in: Internet: http://www.zum-thema.com/archiv/Mueller1.html (1999)
Mingers, S., Wissensmanagement ist nicht nur Vorstandssache, in: Internet http://www.zum-thema.com/archiv/Mingers1.htm (1999)
Nonaka, I., Takeuchi, H.: The Knowledge-Creating Company, Oxford Univ. Press 1995 (dt.: Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen. Frankfurt a.M. 1997)
North, K., Papp, A., Wissensmanagement implementieren, in: REFA-Nachrichten 6/1998, S. 20-27
Preissler, H., Roehl, H., Seemann, P., Haken, Helm und Seil: Erfahrungen mit Instrumenten des Wissensmanagements, in: Organisationsentwicklung 2/97 und Internet: http://enterprise.cck.uni-kl.de/wmk/papers/public/HakenHelmSeil/ (1997)
Probst, G., Raub, S., Romhardt, K., Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen. Frankfurt a.M 1998
Probst, G., Romhardt, K., Bausteine des Wissensmanagements - ein praxisorientierter Ansatz, in: Internet http://enterprise.cck.uni-kl.de/wmk/papers/public/Bausteine/
Ramin, K., Standard ist nicht gleich Standard, in: Internet: http://www.zum-thema.com/archiv/Ramin1.html (1999)
Sammer, M., Zur Verwendung und Konsistenz von grundlegenden Begriffen im Bereich "Wissensmanagement, in Internet: http://www.zum-thema.com/archiv/Sammer1.htm (1999)
Schneider, U., "Was nicht gemessen wird, wird nicht gemanagt" , in: Internet: http://www.zum-thema.com/archiv/Schneider5.html (1999)
Sietmann, R., Zirkelspiele II, Experten fordern, die wissenschaftliche Literaturversorgung neu zu überdenken, in: c`t 1999, Heft 23, S. 142-143
Snowden, D., , New wine in old wineskins makes them burst, in: Internet: http://www.zum-thema.com/archiv/Snowden1.html (1999)
Thurow, L., C., Die Zukunft des Kapitalismus, Düsseldorf 1998
Willke, H., Das intelligente Unternehmen - Wissensmanagement der Organisation, in: Beratergruppe Neuwaldegg (Hrsg.), Intelligente Unternehmen - Herausforderung Wissensmanagement, Wien 1995, S. 49-69

 

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© Annette Schlemm 1999