Als ich drei war...

Welche Bedeutung hat die Wende für mich?

Ich komme aus Jena, ich denke und schreibe hauptsächlich in deutscher Sprache und ich bin eine von vielen Menschen auf dieser Erde.

Wenn ich in der DDR aufgewachsen wäre, stände in dieser Aufzählung bestimmt auch „ich bin eine Bürgerin der Deutschen Demokratischen Republik“, vielleicht sogar „eine stolze Bürgerin“. Seit ich drei Jahre alt bin, gibt es diesen Staat aber nicht mehr. Und dabei hatte ich mich schon so auf mein eigenes blaues Halstuch gefreut. Alle meine Träume und Zukunftsvisionen brachen mit einem Schlag zusammen als die Wende kam. Als Drei-jährige habe ich die politischen Zusammenhänge natürlich noch nicht erfasst, aber ich verstand instinktiv, dass ich nun nie das von mir so vergötterte Blauhemd tragen würde. Danach veränderte sich mein Leben von Grund auf.
Schon in der besonders empfindlichen Entwicklungsphase der Kindergartenzeit wurde ich ständig von kapitalistischer Vermarktungslehre indoktriniert. Die Werbung versuchte mir einzureden, dass ich ganz scharf auf McDonalds-Fraß sei und ohne Barbies nicht leben könne. Wo bleibt denn da die freie Entwicklung der Persönlichkeit? Da ich aber in der Kinderkrippe schon im Erkennen und Abblocken westlich-kapitalistischer Einflüsse geschult wurde, konnte mich auch die buntschillernde Konsumwelt nicht vom vorgezeichneten Entwicklungsweg einer sozialistischen Persönlichkeit abbringen.
In der Grundschule bekam ich an Stelle eines Abzeichens, das ich mit Stolz getragen hätte, nur einen kindischen Stempel ins Mutti-Heft, wenn ich besonders gut war. Die Bildchen taugten nur zum rot ausmalen während langweiliger Stunden – und da es das spannendste Schulfach, das ich mir vorstellen konnte, -Staatsbürgerkunde- nun nicht mehr gab, langweilte ich mich oft.

Irgendwann begann ich älter und erwachsener zu werden und andere Fragen fingen an mich zu beschäftigen: Die Frage nach meinem Platz in der Welt, nach meiner Zukunft.
Welchen meiner Altersgenossen begleitet nicht ständig die Furcht später einmal arbeitslos zu sein? In einem sozialistischen Staat gäbe es diese Angst nicht; wir hätten alle eine gesicherte Arbeitsstelle. Vielleicht müssten wir dafür Parteibonzen in den Hintern kriechen. Aber ist es denn besser, den Wirtschaftsbossen ausgeliefert zu sein?
Hätte ich irgendwann Probleme mit der Stasi gekriegt? Vielleicht, wahrscheinlich sogar. Aber dafür gab es keine ehemaligen Nazi-Leute und Kriegsverbrecher in leitenden Positionen. Sicher haben Stasi und KGB unschuldige Bürger überwacht und unter Umständen auch eingeknastet. Aber der CIA ist doch kein Stück besser! Unschuldige Menschen werden auf Grund ihrer Heimat, ihrer Religion oder ihrem Aussehen vom CIA gekidnappt und sogar gefoltert und die deutschen Behörden wissen natürlich nicht das Geringste von gar nichts. Die so viel gerühmte Freiheit der westlichen Länder wird im Krieg gegen den Terror von der Öffentlichkeit fast unbemerkt ständig weiter eingeschränkt. Ärger mit dem Verfassungsschutz oder übereifrigen Polizisten kann ich mit meinen Überzeugungen heute relativ leicht kriegen. Ich habe sicherheitshalber jetzt schon aufgehört Briefmarken anzulecken; man muss ja nicht mehr Speichelproben verteilen als man sowieso schon tut. Wenn ich in der DDR aufgewachsen wäre, würde ich sicher daran glauben, dass irgendwann alle Länder dieser Erde sozialistisch sind und es allen Menschen gut geht; meine Aufgabe dabei wäre es, den Sozialismus in die anderen Länder zu tragen. Woran kann ich heute glauben? Es scheint keine Alternative zur Selbstzerstörung durch den Kapitalismus zu geben. Der Sozialismus in der Form, wie es ihn schon gab, ist nicht die Lösung – eine Illusion weniger. Ich glaube trotzdem, dass noch nicht Alles verloren ist: Wenn die Menschen sich endlich trauen ihre Freiheit wahrzunehmen und ohne Angst zu ergreifen und zu nutzen, wenn sich genügend kleine Gruppen gefunden haben, die die Welt positiv verändern wollen, dann kann sich noch jede Menge tun. Aber es werden keine zentralistischen Organisationen sein, die uns und unsere Erde retten: wenn wir es nicht selbst tun, wird es niemand tun.

Was bedeutet die Bundesrepublik Deutschland in diesem Kontext nun für mich? „Du bist Deutschland“ versucht die neueste, millionenschwere Werbekampagne mir einzureden. Wenn ich aber Deutschland bin, warum sind dann immer noch deutsche Soldaten im Irak und in Afghanistan stationiert? Warum wird dann in Deutschland den Konzernen immer mehr Geld in den Rachen geschmissen, das den kleinen Leuten gestohlen wurde? Warum wird dann Asylrecht beschnitten und werden Flüchtlinge gewaltsam in Länder zurückgebracht, wo ihnen der Tod droht?
Es gibt so viele Menschen, die kommen hierher auf der Suche nach Zuflucht, aber Deutschland will sie nicht.
Ich will Deutschland nicht.


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