2.2. Nachhaltige Vorschläge

Einen Vorteil hatten die Studien zur "zukunftsfähigen" Lebensweise der Menschen: Was früher als Aussage von Spinnern abgetan werden konnte, daß die "zivilisierten" Menschen ihren Material- und Energieverbrauch extrem senken müssen, wurde nun wissenschaftlich nachgewiesen. Allein zur Gefahrenabwehr muß der CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2050 um 80-90% gesenkt werden, die Schwefeldioxid- und Stickstoffverbindungen in den Böden müssen ebenfalls um 80-90% gesenkt werden usw. An diesen Forderungen geht nun sogar die angeblich so naturorientierte EXPO 2000 jedoch schon mal meilenweit vorbei. Hier wird immer noch so getan, als sei es mit etwas Verzicht auf offensichtlichen Raubbau getan, als wäre es nicht notwendig, die gesamte Lebens- und Wirtschaftsweise radikal zu verändern. Noch in der Studie "Sustainable Netherlands - Ein Aktionsprogramm für die Niederlande" von 1993 wird gefordert: "... keine Hamburger mehr, ein Liter Benzin pro Tag und Nase, für jeden einmal in zehn Jahren eine Flugreise..." (Spehr). So deutliche Aussagen vermied die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" bereits wohlweislich...

Die wenigen Ansätze zur Veränderung der Lebensweise endeten beim erhobenen Zeigefinger der Konsumentenkritik - inzwischen steht auf dem Plan der "nachhaltigen" Umgestaltung nur noch die Effektivierung und das "produktiver machen" der Produktionsgrundlagen.

Dabei wird z.B. die Natur in den Ländern des Trikonts als "gemeinsames Menschheitserbe" reklamiert und für deren sparsamen Gebrauch soll ausgerechnet die Technik und Wissenschaften der Industriestaaten verwendet werden (Spehr).

Agenda 21: "Das wissenschaftliche Potential für die bio- und gentechnische Forschung und Entwicklung und die finanziellen Kapazitäten zur indistriellen Produktion und gewerblichen Verwertung bestehen im wesentlichen in Industrieländern, während in den Entwicklungsländern der Großteil der zu lösenden Probleme auftritt."

Raub und Enteignung von gemeinschaftlichem Grund und Boden geschah schon immer durch die Behauptung, die Räuber könnten das Land "produktiver" bewirtschaften! Nun also dasselbe unter dem Öko-Banner! Neben diesen unmittelbar räuberischen Anliegen soll die Idee der Nachhaltigkeit auch innerhalb der kapitalistischen Kernländern lediglich ein "Fit-Machen der nördlichen Industriestaaten für eine Zeit schmalerer Rohstoffvorkommen" (Spehr) bewirken.

Die Gentechnik wird als "Lösung" von Umweltproblemen angepriesen: Bakterien mit Fluoreszenz würden den Schadstoffanteil im Wasser anzeigen. (Bundesministerium, S. 7). Die EXPO 2000 macht hier gleichermaßen Werbung für Atomkraft, für CO2-Senkung (S. 5) - oder zentralistische Wasserstofftechnologie (S. 12) und Kernfusion (S. 14). Gen- und Atomtechnik sind auch wesentliche Bestandteile der Vorschläge in der berühmten Agenda 21, auf die sich auch viele Umweltverbände und -Initiativen oft positiv beziehen:

"Kapitel 16 beschreibt die Biotechnologie als ideale Fortschrittstechnolgie. "Als innovativer, wissensintensiver Forschungsbereich bietet sie eine Vielzahl nützlicher Verfahrenstechnologien für vom Menschen vorgenommene Veränderungen der DNS (Erbgut), oder des genetischen Materials in Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen, deren Ergebnis überaus nützliche Produkte und Technologien sind". Die Sicherheitsverfahren sollen lediglich "unter Berücksichtigung ethischer Gesichtspunkte" festgelegt werden. Unter anderem wird der internationale Patentschutz auf Leben hervorgehoben. Die Gentechnik wird als Lösung der Ernährungsprobleme propagiert, obwohl schon die Fragestellung falsch ist, denn Hunger ist kein Problem der Produktionshöhen, sondern der Verteilung...

Das Problem der "kerntechnischen Anlagen" wird auf die sichere Zwischen­ und Endlagerung reduziert (ohne daß auch nur ein Halbsatz zum Thema Ausstieg aus der Atomenergie zu finden ist). (vgl.: UVU-Internetseiten)

Eine andere Form der "Neuausrichtung des technischen Fortschritts" fordert beispielsweise E.U.v.Weizsäcker als einer der Hauptvertreter des Konzepts "Zukunftsfähiges Deutschland". Ähnlich der Steigerung der Arbeitsproduktivität soll nun die Energieproduktivität dramatisch erhöht, und damit der Energie- (und Stoff-)-Umsatz der produktiven Tätigkeiten der Menschen bis auf ökologisch verträgliche Maße abgesenkt werden. "Aus einem Kubikmeter Wasser, aus einer Kilowattstunde, aus einer Tonne Kupfer kann man gut und gerne doppelt so viel, viermal so viel, eines Tages zehnmal so viel Wohlstand herausholen wie heute." (Weizsäcker 1994, S. 1). Notwendig ist dazu eine "Effizienzrevolution", die Weizsäcker mittels einer ökologischen Steuerreform durchsetzen will. Grundlegend wurde dieses Konzept bereits von Jörg Bergstedt kritisiert (Bergstedt 1998, S. 274ff.).

Rein technisch werden im Buch "Faktor Vier", einem Bericht an den Club of Rome, Beispiele vorgestellt, bei denen die Vervierfachung der Ressourcenproduktivität gelungen ist. Dabei wird zugegeben, daß fast im gesamten produktionstechnische Bereich eine vierfache Energieproduktivitätssteigerung nicht möglich sein wird. Richtigerweise wird allerdings Wert darauf gelegt, zu betonen, daß viele der produzierten Güter eigentlich eher eine Verschwendung darstellen als Nutzen bringen. 80% aller fertigen Produkte werden nach einmaliger Benutzung weggeworfen und die meisten der in der Produktion verwendeten Stoffe werden spätestens 6 Wochen nach dem Verkauf zu Müll (Weizsäcker, Lovins, Lovins S. 19). Die genannten positiven Beispiele sind u.a.:

  • Hyperautos: Vom Nordkap bis Sizilien mit einer Tankfüllung
  • vollbiologisches Bürohaus, Superfenster: Heizen und Kühlen zum Nulltarif
  • Senkung des Stromverbrauchs von Haushaltgeräten um drei Viertel

Für verwendete Stoffe wird inzwischen auch an "Faktor 10"-Konzepten gearbeitet.

Die Technik hat sich also wirklich weiterentwickelt und hält interessante Optionen bereit. Die soziale Seite jedoch hat sich mit allen Konzepten immer mehr verschlechtert. Der im früheren Eco-Development-Konzept des Umweltprogramms der Vereinten Nationen 1973 z.B. noch enthaltene Versuch, einen "alternativen Entwicklungspfad" in Richtung Umwelt- und Sozialverträglichkeit zu entwickeln, wurde mit dem Nachhaltigkeits-Konzept aufgegeben. Jetzt geht es nur noch darum, die Herrschaft der Konzerne des industriellen Nordens "nachhaltig" und "zukunftsfähig" zu erhalten und dabei jegliche Reichtums- oder Ressourcen-Umverteilung mit dem Argument abzuschmettern, daß nur die "modernsten" und technologisch am weitesten entwickelten Akteure Nachhaltigkeit verbürgen könnten. Unter der Maßgabe, daß nicht mehr ökologische, ökonomische und soziale Belange gegeneinander ausgespielt werden sollen, wird ein scheinbarer Interessenkonsens unterstellt, wobei "der ökologischen Dimension Priorität eingeräumt" werden soll (Paschen, S. 3). Während ein "Abschied vom westlichen Wirtschafts- und Wohlstandsmodell" in den abstraktesten Leitbildformulierungen ab und zu noch auftaucht, hat sich seit der Erfindung dieser Konzepte gezeigt, daß gerade dieser Aspekt überhaupt nicht ernsthaft thematisiert oder gar realisiert wird. Wenn schon, werden nur die angeblich fehlgeleiteten Konsummuster der Menschen kritisiert. Der Wirtschaft gegenüber wird in Tagungen eher mal darüber diskutiert, wie man das Ganze "marketinggerechter" aufbereiten könne...

Für Öko-Interessierte mag die Debatte um "Nachhaltigkeit" und "Zukunftsfähigkeit" vielleicht vor 6 Jahren anregend und hoffnungsvoll gewirkt haben. Angesichts der Erfahrungen damit können nur noch Lernunwillige übersehen, daß diese Konzepte höchstens die Symptome der Probleme berühren und gerade damit die gefährdende Wirtschafts- und Vergesellschaftungsweise des Kapitalismus retten wollen. Durch ihren technokratischen Rigorismus haben sie inzwischen auch die Ansätze abgelöst, die einst Sozialorientierung versuchten und in diesem Kontext erstmalig auch partizipative und emanzipatorische Technikgestaltung zum Thema machte (vgl. Banse, Friedrich).

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2.3. Alternative, angepaßte Technologie

 


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