Warenproduktion

 

Zur Frage: Was kennzeichnet den Kapitalismus, die Warenproduktion? Welche gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse liegen ihm zugrunde?

aus der Diskussion zu: http://www.opentheory.org/freieware/text.phtml#29.1.1.1.2
A.Vogel:
Für den zweiten Absatz bitte ich um Erläuterung. Ich selbst habe das Kapital von Marx noch nicht einmal in den Händen gehabt, geschweige denn gelesen; ähnlich wird es vielleicht manchem Interessierten gehen. Da es nun auch nicht viel bringt, schnell mal das Buch zu besorgen, die Seite aufzuschlagen und nachzulesen, was da steht, ohne den Gesamtzusammenhang (das ganze Werk) zu kennen, möchte ich dich bitten, dein Verständnis (deine Interpretation) der Textstelle darzustellen.
Es ist wohl richtig, dass die meisten Beziehungen eines Menschen zu anderen Menschen sich auf den Warenaustausch gründen und es auch dabei belassen. Was wären andere Verhältnisse von Menschen untereinander? Verwandtschaft, Freundschaft, Liebe, Zusammenarbeit, ... ? Wenn ich ein Brötchen essen möchte, dann stellt nun einmal das Brötchen die Verbindung zwischen mir und dem Brötchengeber her/dar? Was könnte / sollte ich daran ändern?

A.Schlemm:
Voraussetzung der Warenproduktion
1. Marx schreibt über eine konkrete Gesellschaftsformation, den Kapitalismus (hier müsste schon ergänzend erklärt werden, was Gesellschaftsform ist und dass jede dieser Formen historisch entstanden und historisch veränderbar ist). Diese Gesellschaftsform unterscheidet sich von anderen vor allem dadurch: Die Menschen produzieren, aber wenn sie produzieren, wissen sie noch nicht für wen. Sie produzieren "auf Verdacht", dass sie die Produkte später auf dem Markt verkaufen können. Sie produzieren als "Privatproduzenten" und stellen dann erst über den Markt so etwas wie eine "indirekte Gesellschaftlichkeit" her. Daß Menschen als Privatproduzenten produzieren, also jeder isoliert und vereinzelt - war nicht immer so, sondern ist historisch entstanden. Vorher wurde in Dorfgemeinschaften und den Städten direkt für Bedürfnisse von Kunden gearbeitet. Ein Schuster stellte nur die Schuhe her, für die er Aufträge hatte, bzw. von denen er wusste, dass sie für den nächsten Winter in seinem Bereich gebraucht werden (es gibt Beschreibungen, dass das in Gebieten der BRD noch bis in die 50er Jahre so war). Im Kapitalismus (also der vorherrschenden Gesellschaftsform, in der diese eben genannten Gebiete nur Nischen waren, die inzwischen auch "aufgefressen" sind) ist das anders. Hier ist das "Verhältnis der Menschen zueinander als Warenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältnis" (Marx, Kaptial I. MEW 23, S. 74).
Da lässt der Unternehmer Schuhe produzieren, um Profit zu machen (meist auch nur, um selbst mühsam zu überleben, das kann er aber nur, wenn er Profit macht) - nicht um das Bedürfnis seiner Kundschaft nach Schuhen zu befriedigen. Und der Bedürftige gibt nicht seine Schuhe in Auftrag beim Produzenten, sondern er geht auf den "Marktplatz" und sieht von dem, was die "Gesellschaftlichkeit" ausmacht, nur das Preisschild. Nur über dieses ist er mit anderen verbunden. (Achtung: in den nächsten Marxismusausbildungsschritt gehört dann noch, dass Werte und Preise nicht dasselbe sind, hier wird das ausgelassen).
Daß Menschen einander nur noch im Warenverhältnis gesellschaftlich begegnen, sich einerseits auf das, was die einzelnen privaten "Unternehmer" (mit ihren Arbeitern) produziert haben (also auch diese stehen einander "privat" gegenüber und kommen erst durch den Markt zusammen) - aber andererseits auch darauf, dass Menschen, die anders nicht (mehr) ihr Leben reproduzieren (=produzieren) können (weil sie ihre Produktionsmittel nicht mehr besitzen) ihre Arbeitskraft zur Ware machen müssen.
Daß diese Menschen als Vereinzelte leben und sich gegenseitig so behandeln müssen, ist ein gesellschaftliches Verhältnis, das sie nicht einfach durch individuelles Tun verändern können. Du und ich, wir können in dieser Gesellschaft nur überleben, wenn wir entweder selbst Produktionsmittel besitzen und uns auf diese Weise in den Warenmarkt einbringen, oder eben versuchen, unsre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen (oder eine Nische zu machen, wo wir andere Verhältnisse schaffen, dies geht aber schon wieder nicht mehr individuell).

Warenproduktion - Wert-Vergesellschaftung
2. Auf Grundlage dieser gesellschaftlichen Verhältnisse passiert etwas Geheimnisvolles: Nicht mehr wir als Menschen machen unsere gesellschaftlichen Beziehungen, sondern: wir stellen Waren her und deren Warenwerte (was das genau ist, muß woanders erklärt werden, gemeint ist aber auf keinen Fall so etwas wie "subjektiver Nutzen" oder so. Es geht um die Möglichkeit, für den Tausch ungleicher Güter eine Gleichheit zu bilden: die ist in der in der Ware verkörperten gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeit gegeben. Das war schon vor Marx bekannt, wird aber in der heutigen Ökonomie noch oft bestritten.) bestimmen, welchen Stand wir auf dem Markt haben, wie wir unsere Waren verkaufen können, wie wir "vergesellschaftet" werden.
Die Dinge, die wir hergestellt haben, tragen im Prinzip die Art und Weise ihrer Produktion in sich. Diese Dinge tragen im Kapitalismus den Widerspruch in sich, dass sie einerseits von Privatproduzenten gefertigt wurden und andererseits erst danach durch die Vermarktung zu gesellschaftlichen Produkten werden. Solche Produkte, mit diesem für den Kapitalismus typischen Widerspruch, werden WAREN genannt. Dadurch ist immer klar: Wenn wir von Waren sprechen, meinen wir diese komischen Dinge, zuerst ungesellschaftlich gefertigt werden und danach durch ihren wechselseitigen Zusammenhang eine konkrete Form von Gesellschaft wiederum prägen - die Warengesellschaft.
Das besonders Gemeine daran ist, dass sich diese Form von Gesellschaftlichkeit "hinter dem Rücken" der Menschen, über die Warenwerte, über die Menschen erhebt. Das Verhältnis von Sachen (der Werte der Waren) bestimmt dann, wie Menschen miteinander umgehen. Macht und Herrschaft von Menschen über Menschen vermittelt sich über die Verfügung über jene Sachen.

Kapitalismus
3. Und dabei spielt dann eine spezielle Ware, das Geld, eine besondere Rolle. Weil nicht mehr die Menschen selbst über ihre Produktion bestimmen, sondern sie als Produzenten gezwungen sind, gegeneinander zu konkurrieren, werden sie alle zusammen davon beherrscht, dass "Investitionen sich rentieren" müssen, das heißt, dass aus investiertem Geld mehr Geld wird. Solches Geld wird "Kapital" (mehrwertheckender Wert) genannt. Dass das "Mehr" nicht aus dem Geld selber geboren wird, wissen wir alle - es kommt aus der Fähigkeit der lebendigen Arbeitskraft, mehr zu produzieren, als sie selbst zu ihrer eigenen Reproduktion braucht. Dadurch kommt dann noch die Ausbeutung ins Spiel - dass jene Leistung, die die Arbeitskraft "mehr" erbringt, einfach dem investierten Geld als Profit zugeschlagen wird, statt den Arbeitskräften. Aber sogar wenn das anders "berechnet" würde ("gerechter Lohn"), bleibe das in 1. genannte gesellschaftliche Verhältnis, dass Menschen einander nur als private, voneinander eigentlich isolierte Warenbesitzer begegnen, erhalten. Dadurch bleibt die Tatsache erhalten, dass die Gesellschaftlichkeit nur über "Sachen" erzeugt wird und das ist nicht zu akzeptieren.

Die Alternative
4. Wir denken oft, die jetzige Wirtschafts- und Lebensform sei die einzig Mögliche. Schlimm genug. Marxismus ist dadurch gekennzeichnet, dass er den Kapitalismus nicht nur analysiert, um ihn besser zu verstehen, sondern um ihn zu kritisieren. Das bedeutet aber nicht nur moralische Kritik. Es geht darum zu untersuchen, wieso diese Gesellschaftsform auch nur eine historische und nicht ewig "natürlich" festgelegte ist. Es geht auch nicht nur darum, schlimme Missstände abzumildern, sondern die gesamte Struktur der Gesellschaft aufzuheben. Deshalb geht es auch nicht nur darum, das Mehrprodukt gerechter aufzuteilen, sondern jene Struktur aufzuheben, die ich in 1. geschildert habe. Menschen sollen nicht mehr Waren produzieren und dann vermarkten. Sie sollen die Produktion der Dinge, die sie für ihr Leben brauchen, von vornherein gesellschaftlich durchführen. Dann produzieren sie aber keine Waren mehr, sondern "Güter" oder wie immer wir das nennen wollen.
Das Brötchen bleibt vielleicht ein Brötchen (wobei ich hoffe, dass die Güter-Brötchen besser sind als die Waren-Brötchen). Aber der Bäcker hat es nicht für eine anonyme Menge Kunden hergestellt und Du kaufst es nicht mehr mit Geld - sondern es gibt einen Backofen im regionalen Zentrum und die Leute, denen es Spaß macht zu backen, wissen ungefähr, wie viele Leute heute morgen kommen werden, um Brötchen zu holen und dann backen sie sie halt und jede/r nimmt, was gebraucht wird... Diese gesellschaftliche Art, mit dem Brötchen umzugehen, steckt in der unterschiedlichen Bezeichnung als "Ware" oder "...".


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