Neue Arbeit für Mühlheim

Institut für Neue Arbeit

Wege aus der Krise der Arbeit

... und anderswo

 

 

Information der „Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim“ vom 1.12.2005

Eurojob-Misere
Die ARGE-Köln vernichtet Arbeitsplätze

Vermehrt wird die Sorge laut, dass mit den sogenannten 1-Euro-Jobs Arbeitsplätze vernichtet werden. Die Tage meldete sich der ehemalige Sozialminister Heiner Geissler zu Wort „Die 1-Euro-Jobs vernichten reguläre Vollzeitarbeitsplätze. Hartz IV hat sich zu einem finanziellen, arbeitsmarktpolitischen und menschlichen Desaster entwickelt. Hartz IV geht von einer völlig falschen Voraussetzung aus: Die Arbeitsplätze, für die die Arbeitslosen stimuliert werden sollen, gibt es gar nicht.“ (Kölner Express, 30.11.2005)

Auch unsere Selbsthilfegruppe kämpft um ihre Existenz. Die Aufträge für Wohnungsauflösungen und Entrümpelungen sind 2005 zurückgegangen. Und immer weniger können wir die Preise erzielen, die für die Sicherung unseres Lebensunterhaltes notwendig wären. Unsere finanziellen Reserven sind aufgebraucht und wir wissen kaum noch unser wöchentliches Taschengeld zusammenzubringen. Was sind die Ursachen? Einerseits füllt sich in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit das Branchenbuch mit neuen Anbietern, die sich oft mit Billigangeboten zu etablieren suchen. Zum anderen versorgt die Kölner ARGE (Zusammenschluss der Kölner Sozialverwaltung mit der Bundesagentur für Arbeit) Vereine wie die MüTZe, HoSe, BfO, SKM und Emmaus mit insgesamt 120 Eurojobs, teils ausgerechnet im Bereich Secondhand, Möbellager und Wohnungsauflösungen. Die Menschen, die 1-Euro-Jobs haben (offiziell Integrationsstellen), kosten nur ein Taschengeld. Eine Aussicht auf einen Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt besteht nicht. Nach sechs Monaten stehen sie wieder auf der Straße. Den Beschäftigungsträgern werden dagegen für ihren Aufwand, ihre Betreuung und Qualifizierung bis zu 685 € pro Eurojob ausgezahlt, woraus diese sich u.a. Anleiterstellen finanzieren. Für den Dachverein der oben genannten Vereine, den sogenannten Möbelverbund, macht das eine Summe bis zu einer Million Euro im Jahr aus. Die Beteiligung an der Arbeitslosernindustrie zahlt sich aus.

Werden die Eurojobber nun als LKW-Fahrer, Möbelträger oder in den Secondhand-Möbellager eingesetzt, kassieren die Vereine doppelt. Nach den Betreuungsgeldern lassen die Einnahmen bei den Kunden nochmals die Kasse klingeln. Dies bedeutet allerdings eine enorme Wettbewerbsverzerrung für den ersten Arbeitsmarkt, was nach dem Hartz IV - Gesetz ausdrücklich verboten ist. Eurojobs dürfen nur „zusätzlich und gemeinnützig“ sein. Stattdessen werden bei allgemein schwieriger Wirtschaftslage Arbeitsplätze bei den regulären Firmen im Secondhandgewerbe vernichtet. Selbsthilfegruppen wie die SSM, die ihren Lebensunterhalt am Markt verdienen müssen, werden in der Existenz bedroht. So wird die Einrichtung von Eurojobs zum puren Widersinn.

Integration geht anders. Bei der SSM sind Erwerbsarbeit, Wohnen und Selbstversorgung miteinander verknüpft. Unsere Selbsthilfegruppe konnte in den letzten Jahren fünf neue Arbeitsplätze schaffen. Menschen, die obdachlos, arbeitslos oder früher drogenabhängig waren, haben hier wieder Arbeit und eine dauerhafte Perspektive gewonnen. Seit 1979 besteht unser Projekt. 25 Erwachsene und Kinder können bei uns wohnen und ihr Auskommen haben. Wir wirtschaften in eine Kasse und zahlen uns ein für alle gleiches Taschengeld aus. Bei uns sitzen alle im selben Boot und alle rudern mit, so gut sie können. „Keiner ist überflüssig“, so lautet das Geheimnis unseres Erfolges. Im August dieses Jahres wurde unser Projekt mit dem „Oscar-Romero-Preis“ ausgezeichnet. Weil die SSM am ersten Arbeitsmarkt wirtschaftet und keine Sozialhilfe wie Arbeitslosengeld für ihre Mitglieder annimmt, erspart sie der Stadt Köln jährlich mindestens 125.000 €. All dies wird nun gefährdet. Finanziell eine Milchmädchenrechnung. Politisch erbärmlich, wenn gerade diejenigen, die ihr Leben wieder in die eigene Hand genommen haben, erneut ins Abseits gedrängt werden.

Wir wissen nicht, wie es für uns weitergehen kann. Soll Köln dafür bekannt werden, dass es Menschen unmöglich gemacht wird, unabhängig von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld zu leben? Seit unserem Start 1979 waren wir immer wieder den verschiedensten Politikerinnen und Politikern nicht geheuer. Alle Jahre wieder war unser Projekt gefährdet, etwa durch den Beschluß des Rates der Stadt Köln unseren dreissigjährigen Mietvertrag vorzeitig zu kündigen, zuletzt durch Androhung der Schliessung unserer Selbsthilfe wegen fehlender Umzugslizenz, obwohl in früheren Jahren seitens der Sozialverwaltung eine Ausnahmegenehmigung vereinbart war. All diese Bedrohungen konnten wir überstehen, wussten unsere Selbstbestimmung und die wirtschaftliche Unabhängigkeit wahren? Wird es ihnen nun nach 26 Jahren durch Manipulation des Marktes gelingen? Sollen wir wirtschaftlich erdrosselt werden, um hinterher sagen zu können, dass Selbsthilfe nicht geht?

Im April dieses Jahres, noch bevor die Eurojobs starteten, teilten wir der Co-Leiterin der ARGE, Sozialdezernentin Marlis Bredehorst, unsere Befürchtungen mit. Es wurde uns versichert, dass der 1. Arbeitsmarkt wie bisher höchste Priorität habe und dass das Ziel der Hartz IV-Massnahmen sei, Menschen wieder in Lohn und Brot zu bringen. Und dass wegen Eurojobs kein einziger Arbeitsplatz bei den Selbsthilfegruppen gefährdet sei. Wir haben dieser Zusicherung vertraut. Die Wirklichkeit sieht nun leider ganz anders aus. Was wir seitdem von der ARGE fordern, ist geltendes Recht. Keine Konkurrenz-Eurojobs. Die ARGE muss ihre Pflicht erfüllen und wirkliche Integrationsstellen anbieten, die den Menschen helfen statt vorhandene Arbeitsplätze zu vernichten. Ergebnis: Bis heute haben wir keine Antwort erhalten.

Nun wenden wir uns an die Öffentlichkeit. Fragen Sie bei der ARGE nach, warum Gesetze nicht beachtet, warum Firmen und Selbsthilfen in Köln mit Eurojob-Konkurrenz zerstört werden sollen? Was gedenken die Fraktionen im Rat zu unternehmen, um den Selbsthilfen in Köln Zukunft zu ermöglichen? Welche Schritte unternimmt der Deutsche Gewerkschaftsbund in Köln gegen Arbeitsplatzvernichtung durch Eurojobs? Warum betreibt der Möbelverbund auch irreguläre Eurojobs?

SSM, Düsseldorfer Str. 74, 51063 Köln, Tel. 0221-640 31 52, Fax 640 31 98, info@ssm-koeln.org, www.ssm-koeln.org


Anfragen und Antworten werden wir auf unserer

Homepage http://eurojobmisere.ssm-koeln.org

veröffentlichen (Achtung, nicht www mit eingeben). Dort sind und werden weitere Beiträge, Stellungnahmen, Antworten zu lesen sein. Auch Radiobeiträge zum Download abgelegt sein.

Presseerklärung zur Eurojobmisere

 

 

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